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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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das sie bisher jedes Mal, wenn sie die Koffer schon gepackt hatte, daran gehindert hatte, ein Taxi zu rufen und endgültig zu verschwinden. Letzten Endes war doch Aaron derjenige, der das größere Opfer gebracht hatte, dessen Bürde schwerer wog. Aarons Kälte gegenüber Markus war eine Zwangslösung, das hatte er selbst gesagt. Der Junge hatte jedes Hilfsangebot abgelehnt, hatte seinem Vater nur kindische Verbitterung und Hass entgegengebracht. Es war Jenni leichtgefallen, Aaron zu glauben, denn sie selbst war damals von gekränktem Stolz und Wut erfüllt gewesen. Als Markus zu einem verbitterten Schatten seiner selbst geworden war und sich zurückgezogen hatte, in dieses dumme Haus auf der Insel, völlig blind dafür, dass Jenni immer noch schön war. Unfähig zu sehen, dass ihre Seele voll heimlicher Träume war, wie ungeöffnete Schachteln, dass sie die Blicke der Männer immer erkannt hatte, von Kind an.
    »Bitte«, sagte Jenni. Sie presste die Finger so fest auf die Augen, dass es schmerzte. Hoffte, dass die Augäpfel platzten, dass der Glaskörper ihr an der Wange herunterliefe und sie nichts zu erklären brauchte. »Lass uns wenigstens noch bis heute Abend warten.«
    Aaron hüstelte und steckte das Handy in die Brusttasche.
    »Ich habe meine Entscheidung getroffen«, sagte er. »Wenn ihr mitkommen wollt, weck den Jungen.«
    Den Jungen.
    Aaron ging aus dem Zimmer und ließ die Tür offen. Jenni hörte das laute Plätschern, als er im Bad pinkelte, und versuchte sich an den verkümmerten Teil ihres Ichs zu erinnern, der von diesem Mann fasziniert war. Oder war es immer nur genau kalkulierter Selbstbetrug gewesen, von jener entscheidenden Begegnung an?
    Es war passiert, nachdem Markus Jenni am Telefon wie ein Berserker angebrüllt und verlangt hatte, sie solle abtreiben. Er habe keine Zeit für ein Puppenhaus, denn er habe große Pläne. Jenni hatte nie verstanden, von welchen Plänen er sprach. Nach dem demütigenden Skandal um sein Buch war es mit seiner Karriere aus gewesen. Seither hatte Markus mit seinen bitteren Gedanken auf dieser elenden Insel gehaust. Aber es gab wohl für alles einen Grund. Jenni erinnerte sich an den Tränengeschmack, der ihr auf der Zunge lag, als sie in ihrer Verzweiflung bei Markus’ Eltern geklingelt hatte. Sie hatte gedacht, vielleicht könne Lisa ihr irgendwie helfen, Markus umzustimmen.
    Doch es war nicht Lisa gewesen, die ihr öffnete. Lisa war beim Friseur oder beim Arzt oder sonst wo, Jenni wusste es nicht mehr. In der Tür hatte Aaron gestanden.
    Alles hatte seinen Grund. Aber was war, wenn man diese Gründe nicht mehr als seine eigenen erkannte? Wenn man sich so veränderte, dass es einem schien, als hätte ein anderer die Entscheidungen getroffen?
    Als Jenni die Hände von den Augen nahm, sah sie das Zimmer eine Zeitlang durch einen Nebel elektrischerPunkte. Sie stand auf, trat an Miros Bett und überlegte, ob sie den Jungen wecken sollte. Würde sie allein durchhalten, wenn Aaron wegfuhr? Sie zog die Decke über Miros nackte Füße und ging nach unten.
    Das Radio in der Küche lief zu laut. Ina goss gerade Kaffee in eine dunkelviolette Tasse und murmelte etwas vor sich hin, als Jenni neben sie trat.
    »Ach, guten Morgen«, sagte Ina überrascht. »Markus und Lisa schlafen wohl noch.«
    »Aaron will weg.«
    Ina schlug die Augen nieder und nickte.
    »Er hat nun doch keine Zeit?«
    »Nein.«
    Jenni setzte zu einer Erklärung an, konnte die Tränen aber nicht zurückhalten. Das Weinen kam schneller als die Worte, ein dummes Schluchzen, gegen das sie machtlos war. Sie dachte an Aaron und an ihre Befürchtung, er würde auch Miro nie lieben, er könne ein Mensch sein, der Kinder übersah, der immer wichtigere Dinge im Blick hatte. Ina stellte die Kaffeetasse auf den Tisch und legte die Arme um Jenni. Doch die Geste brachte keinen Trost, es war gekünsteltes Mitgefühl. Für jemanden wie Jenni brachte Ina wohl nur Verständnis auf, weil sie sich beweisen wollte, dass sie eine gute Christin war.
    Jenni hörte Miros Stimme aus dem Obergeschoss. Sie löste sich aus Inas Umarmung und wischte sich die Tränen ab. Vielleicht war es tatsächlich das Beste wegzufahren.
    »Ich rede mit ihm«, sagte Ina. »Unter vier Augen.«
    »Das bringt nichts.«
    Jenni stellte sich Ina und Aaron zu zweit in einem Raum vor. Dabei schäumte ein unkontrollierbares Gefühl in ihrhoch. Erst nach einer Weile erkannte sie, dass es Eifersucht war.
    »Ich versuche es. Geh du inzwischen mit Miro

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