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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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Herz zu Herz wandern? Keine Epidemie könnte größere Trauer und Zerstörung anrichten. Selbst dein Jüngstes Gericht wäre im Vergleich dazu eine Erleichterung.«
    Jakob stand auf. Die Augen des Apothekers folgten ihm. Kein anderer Teil seines aufgedunsenen Körpers bewegte sich. Nur die gelblichen Augäpfel regten sich, die Gesichtshaut hing schlaff herab. Jakob dachte an wiegendes Heu, an die Gischt auf den Wellen, an Blütenstaub, der im milden Sommerwind schwebt. Er hob den Stein auf. Der Blick des Apothekers folgte ihm. Bloße Bewegung ohne Sinn. Jakob nahm seinen Spiegel und umschloss ihn mit der freien Hand.
    »Bin ich nur ein Wurm?«, fragte der Apotheker. »Ist mein Mund voller Erde?«
    Jakob schlurfte zu ihm. Sein Schatten fiel über die schlaffen Glieder, über die Kopfhaut, die am Scheitel durch den strähnigen Schopf hindurchschien. Die dünnen Haare zitterten im Wind.
    Jakob hielt dem Apotheker den Spiegel vor die Augen. Das Licht, das der Spiegel reflektierte, zuckte auf dem schlaffen Gesicht. Er wartete, bis der Blick des Apothekers sich dem Spiegel zuwandte. Bis das Licht die geschwächten Augen blinzeln ließ. Dann schlug er drei Mal zu.
    Name. Name. Name.
    Danach ließ er den Stein fallen und blickte nach oben.
    Die Vögel flogen durch die Luft und riefen einander. Ihre Betriebsamkeit kannte keine Zweifel, keine Sorgen. Sie dachten nicht über den Ursprung oder die Richtung des Wasserdampfes unter ihnen nach.
    Jakob beugte sich zu dem Apotheker hinab, schob sein Gesicht dicht an das feiste Ohrläppchen des Mannes. Er spürte den Tod, die Reglosigkeit, die tiefer war als Schlaf. Das hatte er auch damals sofort gespürt, als er Katharina und die Kinder sah.
    »So groß ist mein Erbarmen mit dir, Apotheker Arvid Langelin, dass ich es dir erst jetzt erzähle. Jetzt, da deine Ohren nicht mehr vernehmen, was deine Seele erwartet.«
    Jakob roch den Schweiß und den Schmutz auf der Haut und in den Gehörgängen des Mannes. Die Möwen kreischten.
    »Ulstadius berichtet von einem großen Insekt, das in einem fernen Land lebt. Für die Menschen ist es ungefährlich, aber so grausam bei der Jagd, dass selbst die Heiden im Dschungel es meiden. Dieses Insekt jagt seltsame Spinnen, groß wie eine Männerhand, die in jenem Weltstrich leben. Es beißt seiner Beute die Beine ab und legtseine Eier in ihre Eingeweide. All das tut es, damit die aus den Eiern schlüpfenden Maden die Spinne bei lebendigem Leibe auffressen können. Die Mahlzeit kann Tage, sogar Wochen dauern, und das arme Opfer hat keine Beine, um zu fliehen. Setze an die Stelle der beinlosen Spinne deine in der Verdammnis schmachtende Seele. Und an die Stelle von Tagen und Wochen die Ewigkeit.«
    Jakob trat beiseite und stolperte einige Schritte rückwärts. Er dachte an die Würmer, die ihr Opfer lebend verspeisten, und an die Ewigkeit. Die Beine trugen ihn nicht mehr. Er fiel auf die Knie und weinte.
    Er befand sich immer noch in derselben Stellung, als sich die Dunkelheit herabsenkte. Da hörte er eine Stimme an seinem Ohr. Wie ein Seufzer.
    Jakob .
    Doch als er sich umdrehte, sah er nur die Leiche des Apothekers Arvid Langelin.

III
DIE PUPPE

F ira war ein alberner Name für eine Stadt, aber die Stadt war immer noch besser als das beschissene Feriendorf, in dem sich ihr Hotel befand. Markus, Jenni und Ina hatten schnell gegessen und waren dann auf die Terrasse des Restaurants gegangen. Ihre Eltern hatten bereits dreimal Bier nachbestellt, da machte es keinen Spaß mehr, sich ihr Gerede anzuhören.
    Sie betrachteten die schneeweißen Gebäude, deren leuchtende Reihen steil zum Ufer abfielen und erst bei den hässlichen Hafenkränen und den Schiffen aufhörten, mit denen garantiert keine Touristen fuhren, sondern nur dreckige, kettenrauchende Griechen.
    Nach einiger Zeit wurde ihnen langweilig.
    »Gehen wir in die Marktgassen«, schlug Jenni vor. »Ich habe Geld.«
    Markus blickte zum Tisch ihrer Eltern, wo Lisa mit gefurchter Stirn Jennis und Inas Mutter etwas erzählte. Vermutlich, wie gern sie Kirka mochte oder Loiri mit seinen Eino-Leino-Liedern, oder welche Angst sie vor Vulkanausbrüchen oder Erdbeben hatte, überhaupt vor all dem, wovor man sich in Finnland nicht zu fürchten brauchte. Im Norden lebte es sich doch am besten.
    »Die werden sich Sorgen machen«, wandte Ina ein und deutete mit dem Kopf hinter sich.
    »Die kriegen das gar nicht mit«, gab Jenni zurück und versetzte Ina einen Stoß mit dem Ellbogen. Die Spielverderberin.
    »Gehen

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