Schatteninsel
obwohl unter seinen Fußsohlen ein schwarzes Feuer brannte.
−
Stille.
Jenni lauschte und wartete. Es widerstrebte ihr, im Zimmer nach Miro zu suchen. Irgendetwas stimmte hier nicht. In ihrer Verwirrung hoffte sie darauf, dass plötzlich das Licht anginge und sie von fröhlich lachenden Partygästen umringt wäre. Sobald ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, begann ihr Blickfeld zu flattern. Als hätte Blitzlicht die Dunkelheit durchschnitten. Sie sah unbekannte Gesichter, feiernde Menschen mit grotesken Masken. Jenni legte die Hände vor die Augen.
Was zur Hölle ist das? , fragte sie sich und blieb, wo sie war, kniend am Bett des Jungen. Ihr Herz klopfte wild, und das Trommelfell drohte zu platzen. Sie presste die Handflächen auf die Augen und wartete.
Dann sprach eine Stimme dicht an ihrem Ohr.
Warum ist er hierhergezogen?
Miros Stimme.
Jenni wandte den Kopf, sah aber niemanden.
»Ins Bett«, befahl sie, doch in ihrer Stimme lag keinerlei Autorität. Ihre Ohren waren wie verstopft, ihre Worte nur ein Murmeln in einem leeren kleinen Raum.
Als sie nichts weiter sah oder hörte, wandte Jenni den Blick auf Aarons Bett. Oder auf die Stelle in der Dunkelheit, wo es stehen musste.
»Sag Miro, er soll sich wieder hinlegen«, murmelte sie.
Die Dunkelheit verschluckte ihre Worte, es blieb still.
Plötzlich verkrampfte sich Jennis Magen. Der Schmerz kam so unerwartet und war so heftig, dass sie aufstöhnte und sich vornüberbeugte. Trotz ihres Stöhnens hörte sie Miros leichte Schritte, die aus dem Zimmer führten. Das vertraute Klatschen nackter Füße auf dem Parkett. Jenni hatte es oft gehört, immer dann, wenn Miro schlafen gehen sollte. Ein Geräusch, das sie auf die Palme brachte und ihr zugleich lieb war. Jenni stützte sich auf den Bettrand und erhob sich mühsam. Sie rief erneut nach Miro, diesmal lauter, in der Hoffnung, dass irgendwer im Haus wach würde.
Nichts. Kein Patschen nackter Füße. Keine Schritte aufgewachter Erwachsener.
Unter Wasser wachen die Erwachsenen nicht auf, unter Wasser schwankt man nur in unendlicher Einsamkeit.
Jenni verließ das Zimmer. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf wäre geschwollen, und setzte mechanisch einen Schritt vor den anderen, ungewiss, ob ihr die Beine gehorchen würden.
Im Dunkeln sah es aus, als fehlte das Treppengeländer, doch die tastende Hand fand das glatte Holz. Die großen Fenster im Erdgeschoss zeichneten sich als dunkelgraue Vierecke ab. Es war nicht die geringste Bewegung zu sehen.
Wieder rief Jenni nach Miro. In ihren Ohren dröhnte es, als sie den Fuß auf die erste Stufe setzte. Sie hörte Miros Stimme.
»Ich bin hier.«
Die Stimme kam aus ihrem Zimmer. Miro hatte sich also doch dort versteckt. Jenni machte zu schnell Halt. Ihr Fuß rutschte ab, und sie schürfte sich am Rand der Stufe den Knöchel auf. Doch sie kümmerte sich nicht darum, sondern rappelte sich auf und kehrte zur Zimmertür zurück.
»Wo?«
Jenni stand auf der Schwelle, überschritt sie aber nicht. Sie sah ein kurzes Aufleuchten und blinzelte, bis es sich wiederholte.
»Was machst du mitten in der Nacht …«
Miro lachte lauthals. Nun sah Jenni die Umrisse seines strubbeligen Kopfes vor dem schwachen roten Schein am Fenster. Sie ging mit ausgestreckten Armen in das Zimmer, tappte auf das rötliche Zwielicht zu. Im Dunkeln schienen die Gesichtszüge des Jungen zu leben, seine Augen flackerten immer wieder auf, groß und rund.
»Mutti, schau mal. Ein Bein fehlt.«
Jenni sah, dass Miro die Hand ausstreckte, konnte aber nicht erkennen, was er darin hielt. Nicht in dieser Dunkelheit. Sie hatte Angst und schämte sich, weil sie nicht wagte, näher heranzugehen.
»Warum ist er hierhergezogen?«
Jenni runzelte die Stirn. Ihr verwirrter Verstand suchte nach einer Erklärung für Miros seltsames Verhalten.
»Wer?«
»Vati und Vati …«
»Miro, du redest Unsinn. Ich verstehe kein Wort.«
»… und Vati.«
Miros Stimme klang rau, wie an den schlimmen Tagen, wenn er zu viel schrie. Dann spürte Jenni jedes Mal, wie nah die Grenze rückte, an der sie die Kontrolle über sich zu verlieren drohte.
»Was ist mit dir los, Miro?«
Jenni spürte, dass sie den Namen des Jungen aussprechen musste, wie um sicherzustellen, dass er wirklich ihr Kind war.
»Vati und Vati und Vati.«
Unwillkürlich lachte Jenni auf. Es war ein grausiges Geräusch, als hätte sie im Schlaf gelacht.
»Was sagst du da?«
»Der hässliche Mann und Vati und Vati.«
Jenni merkte, dass ihr der Atem
Weitere Kostenlose Bücher