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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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sich ganz seiner Verzweiflung hin. Irgendwann schlief er ein.
    Als er erwachte, saßen die Männer immer noch am Feuer. Sie waren enger zusammengerückt. Einer von ihnen hielt einen Gegenstand in der Hand, der die Glut des Feuers auf die dummen Gesichter der Männer warf. Tränen liefen ihnen über die Wangen, glänzten wie silberne Ströme.
    Damals kam zum ersten Mal die Rede darauf, dass die Fischer ihre Familien holen und sich auf der Insel niederlassen sollten. Allmählich hörten die Männer auch genauer zu, wenn Jakob sprach. In ihren dummen Augen glomm ab und zu ein Funke des Verstehens auf. Einmal sah Jakob, wie ein Mann, der gerade ein Fass zimmerte, in seiner Arbeit innehielt und nachdenklich vor sich hin starrte.
    Nachts glühte das Meer bisweilen vom höllischen Feuer. Wenn einer der Fischer erwachte und es sah, weckte er alle anderen. Gemeinsam schleuderten sie dem Meer ihreFlüche entgegen, liefen tollkühn ans Ufer und kehrten zurück. Sie erinnerten Jakob an eine Meute verschreckter Hunde, wie gebannt von dem, was ihnen Angst einjagte.
    Als Jakob sich endlich wieder ganz gesund fühlte, wanderte er über die Insel. Einmal, bei schwachem Seegang, watete er zu der zweiten Insel hinüber. Die Männer riefen ihm nach, warnten ihn vor der Strömung, doch Jakob schenkte ihnen keine Beachtung.
    In der Mitte der Insel fand er goldgelbe Ähren. Er wollte seinen Augen nicht trauen. Das Getreide wuchs nur auf einer kleinen, von Geröll umgebenen Fläche, doch es war dennoch ein Wunder.
    Jakob stellte sich zwischen die Halme, nahm eine der Ähren in die Hand und untersuchte sie. Zwischen den hellen Körnern verbargen sich andere. Pechschwarze.
    Verwundert starrte Jakob auf das Getreidefeld. Er hatte nie zuvor so viele Körner an einer Stelle gesehen. Jede Ähre war schwarz gesprenkelt.
    Ein Wunder Gottes. Jakob sammelte die Körner ein, wie Israel Ulstadius es seinen Jüngern geraten hatte. Als der Stoffbeutel gefüllt war, versteckte er einen Teil im Mund. Im Gegensatz zu Ulstadius hatte er den Irrsinn des Korns selbst erprobt. Er hatte sich im Zorn des Herrn getauft und dadurch Kraft gewonnen.
    Ulstadius hatte in seinem Buch von zwei Pfaden geschrieben, die zur Erlösung führten. Der erste war der Pfad der Barmherzigkeit und der Liebe, den der Heiland auf Erden gegangen war. In jüngster Zeit, da der Teufel immer mehr Macht über die Seelen gewann, war dieser Pfad schmaler geworden, fast unpassierbar. Der zweite Pfad war der Weg der Weltverachtung, des heiligen Irrsinnsund der extremen Taten. Und dennoch hatte Ulstadius, obwohl er über diese Pfade predigte, nicht gewagt, selbst von dem Korn zu kosten, sondern es als Werkzeug zur Bestrafung der Sünder betrachtet.
    Das war der Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Propheten. Jakob hatte den Dämon des Wassers gesehen. Er hatte vom Zorn des Herrn gekostet, bevor er auf die Völker herabregnete. Wenn der letzte Tag anbrach, würde Jakob rein und bereit sein.
    »Höret: Dieser Ort ist uns zugewiesen und heilig. Dies ist die steinerne Arche unserer Rettung, die von Jahr zu Jahr wächst, wenn sich die Wasser des einstigen Zorns des Herrn zurückziehen und neuen Boden bloßlegen. Nichts anderes brauchen wir. Dieses Land trägt all jene, welche auserwählt sind, die Versuchungen und Plagen der letzten Tage zu ertragen und durch sie hindurch zu den Freuden des Himmels und zur Erlösung zu gelangen. Holet also eure Familien und alles, was ihr zum Leben braucht, bringt alles her.«
    Die Fischer nickten wie Lämmer. Einige schluckten, manche ließen den Blick über die Gesichter ihrer Gefährten streifen. Doch sie verstanden und glaubten jedes Wort.
    »Und bringt eine fromme Frau für mich mit«, sagte Jakob.
    Gegen seinen Willen sah er Katharinas Blick vor sich, erinnerte sich an die Wärme ihres Körpers auf seiner Haut. Doch all das war ausgelöscht.
    »Meine Geschlechtslinie muss sich fortsetzen, bis der Tag der letzten Ernte anbricht.«
    Und sie glaubten jedes Wort, betrachteten ihn als ihren Propheten. Als Propheten, dessen eines Auge die sündige Welt sah. Das andere war bereits im Himmel.

J enni wollte im Zimmer kein Licht machen, damit Miro nicht aufwachte. Deshalb nahm sie die Mappe und ging ins Bad. Die Lampe ging langsam an. Bei jedem Flackern wurden die Buchstaben und Zahlen deutlicher sichtbar, und schließlich erkannte Jenni eine auf der Schreibmaschine getippte Liste mit handschriftlichen Anmerkungen am Rand. Über der Liste stand:
    SO LÄSST DER

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