Schattenjagd
Priesterinnen der Sorrow ist nichts verboten. Mal davon abgesehen, sich wie ein vernünftiges menschliches Wesen zu benehmen, versteht sich.“ Ich lockerte den Druck am Abzug meiner Waffen etwas, behielt Belisa aber nach wie vor im Visier. Michails Gesicht erschien mir erneut, seine sterbenden Augen, der gurgelnde Laut, als ein letztes Mal Blut aus der klaffenden Wunde an seiner Kehle drang.
Oh ja, wie sehr er sie doch geliebt hat! – Hat sie in verstohlenen Gassen und Hotels getroffen und ihre Beziehung sogar vor mir verborgen gehalten. Obwohl ich sein Lehrling gewesen war, ihm näher als irgendjemand sonst, hatte Michail Geheimnisse vor mir gehabt. Ein Jäger, gefangen im Netz einer Sorrow und Belisas Spielzeug in einem Spiel, das ich noch immer nicht durchschaut hatte. Nach seinem Tod hatten die Werwesen und ich das Sorrow-Haus in der Damietta Street ausgeräumt.
Keinen Einzigen von ihnen hatte ich am Leben gelassen. Doch zu dem Zeitpunkt hatte Belisa Michails Amulett, das Auge von Sekhmet, bereits gestohlen und fortgeschafft. Wahrscheinlich lag es in diesem Augenblick in irgendeiner Schatzkammer der Sorrow – ein hübsches Beutestück, womit sie sich bestimmt das Recht erkauft hatte, innerhalb ihres erdrückenden Priesterinnen-Klosters ein paar Ränge aufzusteigen.
Dass sie sich nicht einmal die Mühe einer Entschuldigung machte, war nur typisch. „Beide Priester der Neuen Blasphemie sind am Leben.“ Ihr Blick war weiter aus dem Fenster gerichtet. „Genau wie dein Schoßkater. Dafür solltest du dankbar sein.“
Lass mich mein Armband abnehmen, damit ich dir zeigen kann, wie dankbar ich bin, du Schlampe. „Du hast genau zwanzig Sekunden, bevor ich dich aus diesem Fenster und in die Hölle befördere“, ließ ich sie wissen. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, Jill. Versuch rauszufinden, was sie weiß -falls sie was weiß. „Es sollte in deinem Interesse sein, den Mund aufzumachen und zu reden.“
„Ihr Name ist Inez Germaine.“ Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie mir diese Neuigkeiten unterbreitete. „Blutrotes Haar, auffallend elegant gekleidet. Sie stammt aus dem Nördlichen Haus in Elsass-Lothringen.“
Ich starrte sie an. War es möglich, dass Robbie Chaldäisch mit Französisch verwechselt hatte?
Nie im Leben! Es klingt nicht mal annähernd ähnlich. „Noch hast du mich nicht überzeugt.“ Langsam spannte ich den Hahn beider Pistolen und hörte zweimal ein leises Klicken. Zehn. Neun. Acht. Sieben. Sechs.
„Sie plant eine Beschwörung, Jägerin. Sie schürt sie mit Mord und finanziert alles durch den Verkauf von inneren Or –“
Vier. Drei. Ich geb’s ja zu. Mit mir ging der Gaul durch und ich feuerte früher.
Ich drückte beide Abzüge gleichzeitig, der Lärm war ohrenbetäubend. Ich schoss immer weiter drauflos, Glas zerstob in tausend Splitter, und Belisa verschwand in einem Wirbel aus blauer Seide. Ich verließ meinen Platz am Rand des Bettes, sprang ans Fensterbrett und wäre um ein Haar hinausgestürzt. Ich sah gerade noch, wie sie auf dem Gehsteig aufkam, sich elegant abrollte und die Sarcado Avenue hinabrannte. Glas splitterte unter meinen Füßen, als ich mich mit erhobenen Waffen auf den Fenstervorsprung kauerte.
Für eine Sorrow sind fünf Stockwerke ein Klacks, ihr jetzt hinterherzuhechten würde nur eine Riesensauerei verursachen. Sie hat sich von Anfang an einen Fluchtweg offen gelassen. Damit hat sie den ersten Spielzug getan. Genauso, wie sie auch mit Michail gespielt hat.
Aber diesmal entkommst du mir nicht, Miststück. Nicht in meinem Revier.
Mit der rechten Pistole zielte ich sorgfältig, alles um mich herum blendete ich aus, sogar Saul, der durch die Tür gestürmt kam, und das plötzliche Getümmel auf dem Gang. Ich visierte Belisas fliehenden Rücken an, atmete leicht ein und drückte ab.
Ein Schuss fiel, und der Geruch von Kordit erfüllte die Luft. Ich schwöre, ich konnte sehen, wie die Kugel den Lauf verließ und helles Mündungsfeuer einen Herzschlag lang das trübe Winterlicht erhellte.
Die Sorrow torkelte, und Rot erstrahlte, als ihr rechtes Schulterblatt zertrümmert wurde. Das wird wehtun, wenn es heilt. Keine Eile. Ich werde dich schön langsam jagen. Und noch bevor ich fertig bin, wirst du auf den Knien liegen und flehen. Genau wie Michail.
Sechs Monate lang hatte ich mich aufgerieben und immer und immer wieder gefragt, ob ich absichtlich zu spät gekommen war, um meinen Meister zu retten – aus Eifersucht wie eine sitzen
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