Schattenjagd
gleichmäßigen, ruhigen Herzschlag. Die Sache lief zunehmend aus dem Ruder. „Ich bin ruhig.“
„Nein, bist du nicht“, schmunzelte er. „Aber immerhin nah dran.“
„Trotzdem könnte ich eine Dosis vertragen.“ Wenigstens wenn wir im Bett sind, kann ich sicher sein, dass du nicht verschwindest.
Auch diese Sorge verpuffte wie Gas in einer Mine. Diesen speziellen Gedankengang konnte ich mir im Moment nicht leisten.
„Darauf könnte ich wetten. Geht mir genauso.“ Er trat einen kleinen Schritt vor und stieß mit mir zusammen, ich lehnte mich an ihn. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, Kleines“, grollte er mir mit tiefer Stimme ins Ohr.
„Wer hat denn diese Regel aufgestellt?“ Hey, ich schlage mich echt gut. Alle Umstände in Betracht gezogen.
„Du warst das. Willst du sie brechen?“
Scheiße. „Wir sollten uns zu Hutch aufmachen. Ich muss noch einige Bücher wälzen, bevor ich liebliche Stunden mit einer Höllenbrut verbringen darf.“
„Willst du was zu Abend essen?“ Himmel, klang Saul etwa besorgt? Warum denn? Ich würde schon nicht zusammenklappen. Immerhin habe ich schon Schlimmeres durchgemacht. Ich konnte es nur nicht leiden, wenn mich Feinde überraschten. Wenn ich erst mal wusste, dass sie in meiner Stadt waren, gab es eine einfache Lösung: aufstöbern und vernichten.
Wissen ist der beste Freund des Jägers, hatte Michail immer gesagt.
Obwohl es wehtat, an ihn zu, denken. Es schmerzte tief drinnen, an einem Ort, den ich vom Rest meines Lebens abschottete, an dem Platz, dem ich nur dann Raum gab, wenn ich nachts alleine wach lag, der Wind um das Warenlager pfiff und sein leises Klagelied von dunklen Straßenecken und Einsamkeit sang. Ich war nicht allzu oft dort gewesen, seit Saul in mein Leben spaziert war – zunächst mochte er mich regelmäßig zur Weißglut getrieben haben, aber dann war es ihm gelungen, den Wall, den ich um mich errichtet hatte, zu durchbrechen, nur um letztendlich mein Herz zu erobern. Inzwischen war er so tief darin verwurzelt, dass ich schon nicht mehr wusste, wo er aufhörte und ich anfing.
Das Problem mit der Liebe ist nur, dass man so scheißverletzlich wird. Eine echte Schwachstelle. Aber ohne diesen Schwachpunkt – wofür zum Teufel sollte ein Jäger dann noch kämpfen?
„Nein.“ Widerstrebend verließ ich seine behütende Wärme. „Lieber nicht. In Perrys Gegenwart dreht sich mir gerne der Magen um.“ Seufzend ließ ich meine verspannten Schultern rotieren und atmete lange aus. „Aber deshalb brauchst du ja nicht drauf zu verzichten. Während ich bei Hutch bin, kannst du dir einen Burrito oder so vom Imbiss holen.“
„Meinst du im Ernst, dass ich dich im Buchladen alleine mit Hutch zurücklasse?“ Er hob die Augenbrauen, und urplötzlich sah die Welt wieder normal aus. „Ich weiß doch, wie heiß er dich findet.“
Der Abstecher zu Hutch stellte sich als Flop heraus. Er war noch nicht weitergekommen, als alle möglichen Quellen, die er für nützlich hielt, herauszukramen und nach übersetzbaren Stellen zu suchen. Der Ausdruck Chutsharak schien allerdings überhaupt nichts zu bedeuten. Hutch selbst wurde kreidebleich, als er mich sah, führte uns ins Hinterzimmer, schloss den Laden ab und machte sich aus dem Staub. Das bedeutete, dass wir den Großteil des Tages bis in die Nacht hinein schimmlige Bücher durchblätterten und am Ende nicht viel mehr über die Sorrow herausfanden, als ich ohnehin schon wusste.
Auch Hutchs Nachforschungen über den Heiligen Antonius waren ohne Ergebnis geblieben. Entweder also hatte Hutch stark nachgelassen – oder Rourke hatte mich angelogen.
Ratet mal, worauf ich mein Geld verwettet hätte.
Als es an der Zeit war, setzte Saul sich hinters Steuer – meine Hände waren ein wenig zittrig. Zuerst machten wir einen Zwischenstopp bei der Kirche der Heiligen Jungfrau, wo ich zwanzig Minuten mit geschlossenen Augen auf einer der hinteren Bänke verbrachte und den eigenartigen Geruch einer Kirche einatmete. Weihrauch, liturgische Roben, Messwein, Hoffnungsflackern, Glaube, Furcht, Flehen – ein vertrautes Gemisch, Trost und Ansporn zugleich.
Während ich dasaß und leicht vor- und zurückschwankte, glitten die Perlen des Rosenkranzes aus Tigerauge durch meine Finger. Wie von selbst sagte sich das Gebet in meinem Kopf auf.
Du, der Du mich auserkoren hast, das Böse zu bekämpfen, beschütze mich und halte Deine schützende Hand über mich. Gewähre mir Kraft im Kampf, ein ehrenhaftes Leben und einen
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