Schattenjahre (German Edition)
spüren. Und er bemühte sich, selbst keine Enttäuschung zu empfinden, weil sie ihn weder küssen noch ansehen oder berühren mochte. Energisch verdrängte er den Gedanken, ihre Haltung stelle ihn auf eine Stufe mit bezahlten Deckhengsten. Und während er mit ihr zu Boden sank und seinen Körper aufihren legte, sagte er sich, sie würde ihn ebenso begehren wie er sie.
Sicher, ihre angespannten Glieder verwirrten ihn, ebenso wie ihre Weigerung, ihm zu helfen. Mühsam musste er ihre Beine in die richtige Lage bringen, ehe er versuchen konnte, in sie einzudringen. Doch sein Verlangen machte ihn blind, und er gelangte sogar zu der Überzeugung, insgeheim müsste sie es von Anfang an geteilt haben. Sonst wäre sie nicht zu ihm gekommen, hätte nicht um den Liebesakt gebettelt.
Die Wahrheit erkannte er erst, als er sich kraftvoll mit ihr vereint hatte, die verkrampften Muskeln spürte, die Enge, das sofortige Zurückschrecken. Und da wurde ihm klar, was er schon bei Sages erstem Protest gegen ein längeres Vorspiel hätte wissen müssen. Wie er nun in ärgerlichem Entsetzen registrierte, hatte sie ihn nicht in wilder Erregung gedrängt, sondern wie ein Kind, das die Einnahme einer ekligen Medizin möglichst schnell hinter sich bringen will – oder wie eine Erwachsene, die sich gegen eine unerwünschte, aber notwendige Prozedur wappnet. Und warum war sie ihm nicht entgegengekommen? Nicht, um mit ihm zu spielen, um seine Leidenschaft zu steigern – nein, weil sie einfach nicht wusste, was man in solchen Situationen tat. „Du warst noch Jungfrau …“
Dass er diese Worte ausgesprochen hatte, merkte er nicht, bis sie unter ihm davonrutschte, sich zur Seite drehte, die Knie bis zum Kinn hochzog und die Arme schützend um die Beine schlang. Über die Schulter starrte sie ihn an und fragte aggressiv: „Na und?“
Hin und her gerissen zwischen Zorn und Fassungslosigkeit, musterte er sie. Eine Jungfrau. Eine verdammte Jungfrau. Sage, von der er monatelang geträumt, von der er idiotischerweise geglaubt hatte, in ihren Fingerspitzen stecke das sexuelle Wissen aller je auf dieser Welt geborener Frauen, war völlig unerfahren.
Helle Wut gegen sich selbst stieg in ihm auf, gegen Scott, vor allem aber Wut gegen Sage. Was zum Teufel trieb sie da mit ihm?
„Willst du nicht mit Jungfrauen schlafen, Daniel? Ist es das?“
Ihr Spott verletzte ihn tief, und er entgegnete in messerscharfem Ton: „Ja, genau das ist es, verdammt noch mal! Wenn ich mit einer Frau schlafe, will ich eine Frau haben, kein verängstigtes kleines Mädchen. Eine Frau, die mir so viel Freude schenken kann wie ich ihr, kein Kind, das die Muskeln zusammenkrampft und ‚Nein‘ schreit. Außerdem …“ Er unterbrach sich, wollte nicht aussprechen, was ihm auf der Zunge lag, und nicht unnötigerweise brutal sein. Aber irgendetwas, das sich seiner Kontrolle entzog, trieb ihn dazu – etwas, das er nicht sexuellen Frust nennen mochte, weil er sich sonst nicht mehr als zivilisiertes menschliches Wesen hätte betrachten können. „Außerdem bezweifle ich, dass du die Pille nimmst. Und ich war wirklich nicht darauf gefasst, wie vorsichtig ich mit dir umgehen müsste. Hast du denn keinen Funken Verstand?“
Er packte sie am Arm, zog sie auf die Knie hoch und schüttelte sie erbost. „Oder war es das? Hast du gehofft, ich würde dich schwängern? Wolltest du das von mir, Sage? Ein Kind? Einen Ersatz für Scott? Als Mann willst du mich nämlich nicht, das war offensichtlich. Mein Gott, du weißt gar nicht, was ein richtiger Mann ist. All dieses Getue um deine große Liebe zu Scott! Warum hat er nicht mit dir geschlafen?“
„Meine Jungfräulichkeit war jedenfalls nicht der Grund …“ Das Zittern ihrer Stimme, die Tränen, die in ihren Augen glänzten, straften den bissigen Unterton Lügen.
Jetzt, wo es zu spät war, begriff er, was er getan hatte, und er wollte die grausamen Worte zurücknehmen. Sie stand auf, und er versuchte sie festzuhalten, aber sie wich seiner Hand aus, schlüpfte in seinen Bademantel und wickelte sich schützend darin ein. „Scott liebte und respektierte mich. Er sagte, wir sollten warten, bis unsere Familien … Er liebte mich …“ Sie schrie beinahe. Und Daniel, dem die Vergangenheitsform nicht entging, hörte Panik und Entsetzen aus ihrer Stimme heraus, spürte ihre quälenden Zweifel, und tiefes Mitleid erfasste ihn.
Wäre er doch fähig gewesen, über seine eigenen Bedürfnisse hinauszublicken, hätte er sich bloß nicht von
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