Schattenjahre (German Edition)
seinem körperlichen Verlangen nach Sage beherrschen lassen und stattdessen zugehört, gewartet, Fragen gestellt …“
„Warum bist du zu mir gekommen?“ Er wusste, dass sie verstehen würde, was er meinte.
„Warum?“ Das Gesicht, das sich zu ihm wandte, war eine verzerrte Maske voll Hass und Bitterkeit. „Muss ich das wirklich erklären? Ich habe Scott verloren, den Einzigen, den ich jemals lieben werde, und in einem hast du recht – ich bin schuld an seinem Unfall. Ich hätte ihn umbringen können. Danach betete ich für ihn und gelobte, alles zu tun, jeden Preis zu zahlen,wenn er nur am Leben bliebe. Welcher Preis das sein würde, nämlich Scott selbst, das ahnte ich nicht. Verstehst du?“, rief sie verzweifelt. „Ich wollte mich selbst bestrafen und so leiden, wie ich es verdiene. Deshalb kam ich zu dir. Weil es keinen schlimmeren Selbstverrat, keine schlimmere körperliche Erniedrigung und emotionale Demütigung geben konnte, als dir zu geben, was ich Scott so gern gegeben hätte. Deshalb kam ich zu dir.“
Sie begann zu lachen. Es klang hoch und schrill, schmerzte in seinen Ohren, während er ihre Worte zu verdauen suchte – diesen Frontalangriff auf seinen männlichen Stolz, diesen verächtlichen Hass. Hätte er sie in diesem Moment angefasst, hätte er vermutlich etwas Unverzeihliches getan. Deshalb trat er rasch von ihr weg, nachdem er aufgesprungen war, kehrte ihr den Rücken, um die wütende Verzweiflung in ihren Augen nicht mehr sehen zu müssen, diese Leidenschaft, die er völlig missdeutet hatte.
„Daniel!“
Sein Atem stockte. So viel Unsicherheit schwang in Sages Stimme mit, so viel Leid, das Bedürfnis eines Kindes, das – von der Heftigkeit seiner eigenen Gefühle verwirrt – um Trost flehte. Aber er verschloss sein Herz vor ihr. Ohne sich umzudrehen, erwiderte er: „Was immer du sagen möchtest – ich mag es nicht hören. Du tust mir leid, Sage. Wahrscheinlich glaubst du, ich müsste dankbar sein für das Geschenk, das du mir machen wolltest – nein, kein Geschenk, sondern das Opfer deines Körpers. Ich werde es niemals annehmen. Diese Nacht kannst du noch hierbleiben. Morgen früh musst du das Haus verlassen.“
„Daniel, bitte …“ „Nein, Sage. Was immer du willst, ich bin außerstande, es dir zu geben, weder in gefühlsmäßiger noch in anderer Hinsicht. Du bist ein Riesenproblem, und falls dich meine Meinung interessiert – Scott sollte sich glücklich schätzen, weil er dir entronnen ist. Du wirst jeden Mann vernichten, der in deine Nähe kommt, weil du nun mal so ein Typ bist.“
„Du hast mich begehrt …“
„Nein, ich wollte deinen Körper benutzen“, log er sie kaltblütig an. „Ich wollte nicht dich, Sage. Geh jetzt wieder ins Bett.“
Unglaublicherweise gehorchte sie, aber am nächsten Morgen war sie wie erwartet verschwunden. Nicht nur aus seinem Haus – auch vom Campus. Es dauerte einige Tage, bis er herausfand, dass sie sich in ihrem Zimmer eingesperrt hatte, ohne irgendjemandem zu verraten, warum. Die meisten, die sie kannten, schienen anzunehmen, sie habe sich Scotts wegen verkrochen. Eine Woche lang zögerte er, dann rief er in Cottingdean an und erfuhr, Sages Mutter würde erst am Monatsende von einer Geschäftsreise zurückkehren. Man würde Mrs Danvers bei ihrer Ankunft sofort informieren.
Er hatte sich in die Arbeit gestürzt, um seine Schuldgefühle zu verdrängen. Doch sie waren ihm treu geblieben – bis zum heutigen Tag. Das gestand er sich widerstrebend ein, während er in sein leeres Glas starrte.
17. KAPITEL
Daniel fand genug Zeit, um sich auf die Begegnung mit Sage vorzubereiten, um nach Cottingdean zu fahren. Trotzdem ertappte er sich dabei, wie er absichtlich versuchte, das Treffen hinauszuzögern. Wollte er sich verspäten, in der Hoffnung, sie würde nicht länger auf ihn warten wollen und die Unterredung abblasen?
Hätte er auch nur geahnt, dass sie in den Kampf um die neue Straße verwickelt war, hätte er jemand anderen zu jener Versammlung geschickt – zum Beispiel Dale Hughes, den Leiter der PR-Abteilung von Cavanagh Construction, oder Matthew Petrie, seinen Vize. Es wäre nicht nötig gewesen, dass Daniel sich persönlich um diese Angelegenheit kümmerte. Beim Studium der ersten Pläne für die Straße hatte er den Namen Cottingdean gelesen und sich eingeredet, es sei eine vernünftige Geschäftstaktik, selbst hinzufahren.
Er war erstaunt gewesen, weil das Dorf immer noch so klein war, aber offenbar beträchtlichen
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