Schattenjahre (German Edition)
Fabriken …“
„Das kriegst du schon hin“, meinte Liz zuversichtlich.
„Nun, eines Tages wird Camilla alles erben.“
„Ja. Immerhin ist sie eine Danvers, und ich habe Edward versprochen …“
„Das stört mich nicht“, unterbrach Sage ihre Mutter. Früher hätte es ihr sehr viel ausgemacht. Ganz egal, wie sehr sie ihre Nichte liebte – das Wissen, Camilla würde das Heim erben, das sie selbst in der Kindheit stets so abweisend gefunden hatte, wäre schmerzlich gewesen. Es hätte alte Wunden wieder aufgerissen und ihre Überzeugung bestätigt, sie würde nicht geliebt. „Das weiß ich, Sage.“
„Und du gehst leichten Herzens von Cottingdean weg, nach all den Jahren?“
„Ja und nein. Zu Hause habe ich alles erreicht, was mir möglich war. Jetzt wird es Zeit, dass jüngere, stärkere Hände die Zügel übernehmen. Eigentlich war ich nur die Verwalterin von Cottingdean. Das wusste ich von Anfang an. In gewisser Weise hatte Lewis recht, als er mirvorwarf, Cottingdean bedeute mir mehr als er. Natürlich liebte ich Haus Cottingdean nicht so wie ihn, aber es brauchte mich. So wie Edward mich brauchte. Vielleicht klingt es albern, aber ich glaubte, ich wäre unentbehrlich – und unersetzlich.“
„Das warst du auch“, versicherte Sage. „Und ich zweifle immer noch, ob ich …“
„Du schaffst es ganz bestimmt. Gehen wir jetzt, Lewis und Scott werden sich schon fragen, wo wir so lange bleiben.“
„Oh, du meinst wohl, Dad vermisst dich ganz wahnsinnig, wenn er dich länger als zehn Minuten aus den Augen verliert“, neckte Sage ihre Mutter. Wie gut sie ihren Vater verstand – und auch sich selbst und ihre eigenen Empfindungen. An diese Zeit mit den Eltern und dem Bruder würde sie stets liebevoll zurückdenken. In diesen letzten Wochen waren sie einander sehr nahegekommen, und nun bildeten sie eine Familieneinheit. Sie freute sich auf die Hochzeit ihrer Eltern, über Scotts glückliche Ehe. Und trotz dieses Glücks war sie einsam.
Daniel … Immer wieder Daniel, den sie liebte und der ihre Liebe nicht erwiderte … Was tat sie sich selbst an? Erzeugte sie absichtlich das Gefühl in ihrem Herzen, abgewiesen zu werden, hoffnungslos und hilflos zu lieben – so wie sie früher Liz, Edward und Scott geliebt hatte? Dieser Gedanke deprimierte sie, und sie wollte ihn nicht weiterverfolgen.
Vier Tage später flogen sie nach England. Die Eltern planten eine baldige Hochzeit in aller Stille. Es würde einen Monat dauern, bis alles geregelt war – bis Liz ihre Bande mit Cottingdean endgültig gelöst hatte. Dann würde sie nach Australien reisen, mit Scott und Lewis, ihrem frisch gebackenen Ehemann und einstigen Liebhaber, dem Vater ihrer beiden erwachsenen Kinder.
Am Flughafen Heathrow drängten sich zahlreiche Passagiere und ihre Angehörigen. Faye und ihre Tochter holten die Verwandtschaft ab. Anscheinend konnte Camilla ihre Aufregung kaum bezähmen. Immer wieder grinste sie Sage an. Sie hatte die Veränderungen im Familienleben am leichtesten akzeptiert und Lewis ebenso wie Scott sofort ins Herz geschlossen.
Als sie Sage einen Begrüßungskuss gab, verriet sie, ihre Mutter sei mit Alaric Ferguson ausgegangen. „Er ist ganz verrückt nach ihr.“
„Und du magst ihn?“, fragte Sage ihre Nichte.
„Er ist okay“, antwortete Camilla beiläufig. Aber die Tante sah ihr an, wie glücklich sie über die neue Liebe ihrer Mutter war. Alle schienen glücklich und zufrieden zu sein, dachte Sage, nur ich nicht … Dann sah sie auf, und sekundenlang blieb ihr das Herz stehen.
Da stand Daniel, nur fünf Meter entfernt, und beobachtete sie. Sehnsüchtig erwiderte sie den Blick, entzückt und ungläubig, als wäre er plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. Daniel … Was machte er hier? Wohin wollte er fliegen? Hastig schaute sie sich um. Er stellte sich vor keinem Schalter an, trug kein Gepäck bei sich …
Liz stieß ihr einen Ellbogen zwischen die Rippen. „Geh zu ihm.“
Sie sollte zu ihm gehen? Sage öffnete den Mund, um zu protestieren, drehte sich um und merkte bestürzt, dass ihre ganze Familie verschwunden war. Plötzlich kam es ihr so vor, als wäre sie in eine irreale Welt geraten. Sie konnte sich nicht rühren, nichts tun, nur dastehen und Daniel anstarren.
„Geh zu ihm“, hatte die Mutter gesagt. Zu ihm … Sie zwang sich zu einem Schritt in seine Richtung. Noch ein Schritt – und sie lag in seinen Armen.
„Daniel – Daniel …“ Der Geschmack seines Namens auf ihrer Zunge mischte
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