Schattenkampf
verzogen, beugte sich Barnsdale nach vorn. »Ob ich was kann?«, fragte er. »Entschuldigung.«
Im Zuschauerbereich hinter Washburn wurde es unruhig. Tollson hieb mit dem Hammer einmal fest auf den Tisch. »Bitte Ruhe im Saal!« Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bereich innerhalb der Schranke. »Und Sie beide, meine Herren, möchte ich bitten, lauter zu sprechen.«
»Ja, Euer Ehren«, schrie Washburn fast und richtete sich auf.
Kopfschüttelnd - das war Schmierentheater, Zirkus pur - blickte Tollson auf den Zeugen hinab. »Herr Doktor?«
Barnsdale schaute zu ihm hoch. »Sir?« Ein Flüstern.
»Lauter, bitte. Die Geschworenen sollen Sie verstehen.«
Wieder an Washburn gewandt. »Fahren Sie fort, Counsellor.«
»Danke, Euer Ehren. Herr Doktor.« Ein Lächeln signalisierte dem Zeugen, dass sie Freunde waren. »Sie haben über die Blutergüsse am Körper des Opfers gesprochen, die wir eben auf den Fotos gesehen haben. Meine Frage ist: Können Sie das Alter so eines blauen Flecks bestimmen?«
»Wie bereits gesagt, nur innerhalb sehr weit gesteckter Grenzen.«
»Seien Sie doch so freundlich, Herr Doktor, und erklären Sie mir halbwegs ausführlich, wie Sie feststellen können, dass ein blauer Fleck älter ist als ein anderer.«
Barnsdale räusperte sich und kam der Aufforderung nach. »Selbstverständlich, gern. Blutergüsse oder Hämatome - wie der wissenschaftliche Begriff dafür heißt - beginnen zu heilen, sobald sie entstanden sind. Deshalb lässt sich anhand des Grads der Heilung - Rückgang der Schwellung, Dicke und Festigkeit des Schorfs, Farbe und so weiter - grob ablesen, wie lange es her ist, dass das Hämatom verursacht wurde. Wir alle wissen, dass manche Menschen stärker zu blauen Flecken neigen als andere. Und es ist auch zutreffend, dass ein und dieselbe Person abhängig vom Körperteil, von ihrem Alter und von ihrem allgemeinen Gesundheitszustand mehr oder weniger stark zu blauen Flecken neigt. Aber alles in allem können wir uns natürlich anhand der Hämatome einen ungefähren Eindruck verschaffen.«
»Lauter bitte.« Diese Aufforderung kam von der Richterbank.
Washburn fuhr fort: »Und die Blutergüsse des Opfers, waren sie sozusagen alle gleich alt?«
»Nein.«
»Nicht? Was war der größte Zeitunterschied, den Sie zwischen ihnen feststellen konnten?«
»Das lässt sich unmöglich sagen.«
»Unmöglich, Herr Doktor? Sie können uns keinerlei Informationen dazu geben? Heißt das, einer dieser blauen Flecken wurde Mister Nolan zugefügt, als er fünf Jahre alt war, und ein anderer wenige Minuten vor seinem Tod? Da lässt sich kein Unterschied feststellen?«
Leises Gelächter im Zuschauerbereich.
»Nein, so ist es natürlich nicht.«
»Könnten denn einige dieser Verletzungen Mister Nolan einen Monat vor seinem Tod beigebracht worden sein?«
»Nein.«
»Eine Woche zuvor?«
Ein kurzes Zögern. »Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich.«
»Aber es könnte eine Woche zuvor passiert sein.«
»Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich.«
»Na schön, Herr Doktor, aber einige der Verletzungen könnten Mister Nolan zumindest drei oder vier Tage vor seinem Tod zugefügt worden sein. Ist das zutreffend?«
Washburn wusste, er hatte den Rechtsmediziner am Kragen, und er wusste, wie seine Antwort ausfallen würde.
»Also, das muss ich mit einem Ja beantworten.«
»Und, Herr Doktor, haben Sie bei der Autopsie etwas unternommen, um das Alter der jeweiligen Blutergüsse zu bestimmen?«
»Daraufhin habe ich die einzelnen Hämatome nicht untersucht.«
»Warum nicht?«
»Weil es damals unerheblich schien. Hinsichtlich der Todesursache war es auf jeden Fall unerheblich.«
»Weil keiner dieser Schläge Mister Nolan getötet hat, richtig, Herr Doktor? Mister Nolan starb an den Folgen der Schusswunde, wann immer ihm diese beigebracht wurde. Ist das richtig?«
»Ja.«
»Danke, Herr Doktor. Keine weiteren Fragen.«
Als Nächstes war Shondra Delahassau, Sergeant bei der Spurensicherung, an der Reihe. Sie war Anfang dreißig, mit tiefschwarzer Haut und Cornrow-Zöpfchen, und strahlte, das genaue Gegenteil von Dr. Barnesdale, Kompetenz und Selbstbewusstsein aus.
»Wir wurden am Samstagnachmittag verständigt, als der Hausmeister das Laub von der Terrasse blies und Spuren eines Kampfs sowie Blutspritzer im Wohnzimmer entdeckte.«
»Und was geschah als Nächstes?«, fragte Mills.
»Als Erste trafen zwei Streifenpolizisten am Tatort ein. Sie verschafften sich Zutritt
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