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Schattenkampf

Titel: Schattenkampf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lescroart
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Monaten, in denen er an
der Berufung gearbeitet hatte, nicht sehr weit gekommen. Und in den sechs Monaten nach Bowens Verschwinden hatte sich niemand mehr darum gekümmert. Die vier zusätzlichen Monate, die Hardy nach dem Erhalt der Akten gebraucht hatte, um zu einer Entscheidung zu kommen, waren also das geringste von Evan Schollers Problemen.
    Deshalb ignorierte Hardy die Frage. Sie tat jetzt nichts zur Sache. Er rutschte vom Tisch zurück, schlug die Beine übereinander und begann in ganz normalem Gesprächston: »Ich war früher bei der Polizei. Davor war ich bei den Marines und habe in Vietnam gedient. Kommt Ihnen das bekannt vor?«
    »Wurden Sie einberufen?«
    »Ich war bei den Marines«, wiederholte Hardy. »Marines werden nicht eingezogen.«
    »Wie alt waren Sie?«
    »Zwanzig.«
    »Ja, ich war auch zwanzig, als ich zur Guard ging, noch auf dem College.«
    »War das vor dem elften September?«
    »Allerdings«, antwortete Evan. »Damals sah alles noch ganz anders aus. Die Guard versprach schnelles Geld. Und eine gute Gelegenheit, sich in Form zu halten. Wer hätte das schon ahnen können?«
    »Sind Sie nach dem College gleich auf die Akademie?«
    »Mehr oder weniger. Mit zwei, drei Monaten Pause vielleicht. Man kann nicht endlos saufen und nichts tun, ohne dass es irgendwann langweilig wird.«
    »Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich habe es zehn Jahre lang durchgehalten. Nachdem einer meiner Söhne gestorben ist.«
    Hardy heischte nicht nach Mitgefühl. Er wollte, dass Evan
Scholler einen ungefähren Eindruck gewann, wer er war, warum er diesen Fall persönlich übernahm. Die Geschichte des jungen Manns hatte eine Saite in ihm zum Schwingen gebracht. Mit seinem anscheinend bereits gelaufenen Leben war Evan Scholler immer noch sieben Jahre jünger, als Hardy gewesen war, als er nach dem Tod seines ersten Sohns Michael aus seinem langen alkoholgespeisten Schlummer erwacht war. Er hatte mit achtunddreißig wieder bei null begonnen und sowohl sich selbst als auch sein Leben auf eine Weise von den Toten auferweckt, die er nie hätte vorhersehen können - beruflicher Erfolg, Frau, Kinder, sogar Glück. Deshalb wusste er, es war möglich. Nicht gerade, dass man jede Wette darauf eingegangen wäre, aber eine geringe Wahrscheinlichkeit bestand. Vielleicht gab es auch für diesen jungen Kerl - wie Hardy ehemaliger Polizist, ehemaliger Soldat - eine zweite Chance. »Und wie lang«, fragte er, »waren Sie Streifenpolizist, bevor Sie wieder eingezogen wurden?«
    »Drei Jahre ungefähr. Steht das nicht in meiner Akte?«
    »Was hat das mit dem Fall zu tun?«
    Vielleicht unbewusst, kratzte Evan mit dem rechten Zeigefinger an der Tischplatte. »Nichts, soviel ich weiß.«
    »Darum steht es auch nicht in der Akte«, sagte Hardy. »Jedenfalls nicht in der von Bowen.«
    »Und in der von Aaron Washburn?«
    »In der könnte es stehen, aber das weiß ich nicht. Mit ihm habe ich noch nicht gesprochen. Erst wollte ich Sie kennenlernen. Mir anhören, was Sie zu sagen haben.«
    »Wie zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel über Ihre Aussage beim Prozess. War das Washburns Entscheidung oder Ihre?«

    »So genau kann ich mich da nicht mehr erinnern. Ich glaube, wir haben uns darauf geeinigt.«
    »Ich verstehe nicht, warum Sie, als Sie im Zeugenstand waren, nicht versucht haben, den Geschworenen zu erzählen, dass Sie Nolan nicht getötet haben? Wenn Sie es nicht getan haben.«
    Das Kratzen hörte auf. Evan Scholler starrte Hardy durchdringend an. »Vielleicht habe ich es ja getan.«
    »Okay. Das wäre ein berechtigter Grund. Haben Sie es denn getan?«
    »Wollen Sie das wirklich wissen?«
    »Deshalb bin ich hier.«
    »Washburn war das völlig egal. Ob ich es wirklich getan habe, meine ich. Er sagte, es wäre egal.«
    »Nur so rollt der Rubel. Mir ist nicht egal, ob Sie ihn umgebracht haben. Haben Sie denn?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte er.

    Aaron Washburn hatte in der Erdgeschosswohnung eines viktorianischen Hauses in der Union Street in San Francisco eine Art Zweitkanzlei, die allerdings mehr ein privater Rückzugsort war als ein Büro. In Redwood City war Washburn bekannt wie ein bunter Hund; neben seiner Teilhaberschaft an seiner eigenen Kanzlei war er fester Bestandteil der Broadway Tobacconists, und manchmal wurde dem alten Herrn die Bekanntheit, das ständige Unter-Beobachtung-Stehen ein bisschen zu viel. In San Francisco hatte er eine Sekretärin, die ungefähr zehn Stunden die Woche reinkam. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, die

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