Schattenkampf
Seite auf die andere. »Ich könnte nicht sagen, dass ich begeistert war, aber das war etwas anderes.«
»Inwiefern?«
Sie setzte ein weiteres Mal ihrer Lippe zu. »Soldaten - ihre Aufgabe ist es zu töten. Polizisten, sie haben in erster Linie eine schützende Funktion.«
»Aber müssen sie denn nicht auch manchmal töten, um zu schützen?«
»Aber es ist nicht ihre Hauptaufgabe.«
»Könnte das nicht daran liegen, dass keine Armee nötig ist, um einzelne Bösewichter in Schach zu halten?« Er nahm seine Hand von ihrer und setzte sich gerader auf. Er hob die Tasse
an seinen Mund, stellte sie wieder ab. Als er sie ansah, merkte er, dass sich ein glasiger Schimmer über ihre Augen gelegt hatte. In ihren Winkeln hingen Tränen. »Entschuldige. Ich will dir diesen schönen Tag nicht verderben und dich zum Weinen bringen. Vielleicht sollten wir doch lieber über etwas anderes sprechen.«
Eine Träne löste sich und hinterließ eine feuchte Spur auf ihrem Gesicht. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es ist so schwer.«
»Das ist es allerdings«, sagte er. »Ich weiß.«
»Ich versuche, das Richtige zu tun.«
»Das sehe ich.«
»Zumindest sollte ich seine Briefe lesen.«
»Das wäre nett.«
»Aber ich bin immer noch …« Sie verstummte, sah ihn an, schüttelte wieder den Kopf. »Ich habe keine Antworten. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Du brauchst ja heute noch nichts zu entscheiden. Wie wäre das?«
Sie bedachte ihn mit einem dankbaren Lächeln. »Besser.«
»Na, dann gut«, sagte er. »Ich glaube, das war genug Philosophie für einen Tag. Sollen wir mal gehen?«
Eines der Wahrzeichen des alten San Francisco ist das Trader Vic’s, das Lieblingslokal des berühmten Kolumnisten Herb Caen, in dem angeblich der Mai Tai erfunden wurde. Das Original hatte schon vor Jahrzehnten dichtgemacht, aber vor ein paar Jahren hatte in der Nähe der City Hall ein neues eröffnet. Es war schwer angesagt und die gleiche Sorte Lokal - ein unter dem Motto »Südseeinseln« stehender In-Treff, in dem man riesige »Pupu«-Teller mit entfernt asiatisch anmutenden
Vorspeisen bekam, die man mit Mai Tais oder allen möglichen anderen rumhaltigen Cocktails hinunterspülte, die häufig in ausgehöhlten Kokosnüssen für zwei Personen serviert wurden.
Auch Nolan und Tara bestellten so einen, als sie an ihrem Tisch Platz nahmen, und ließen ihm zum Essen einen zweiten folgen. Der entspannte Stadtrundgang und die intensiven Gespräche hatten sie einander nähergebracht und die Grenze zwischen Date und Nicht-Date verschwimmen lassen, und als der Kellner das Geschirr abtrug und die Rechnung auf dem Tisch ließ, begann sich Nolan mit der Frage zu beschäftigen, ob diese unglaubliche Frau nicht doch etwas an ihm finden könnte. Zu Evan Scholler hatte Tara zweifellos bestenfalls ein gespaltenes Verhältnis; gleichzeitig schien sie seine Gesellschaft zusehends mehr zu genießen - sie lachte, scherzte, trank. Nicht, dass sie direkt mit ihm flirtete oder sich ihm gar an den Hals warf, aber sie schenkte ihm viel Zeit und Aufmerksamkeit, ohne dass sich ihr Fuß auch nur annähernd in der Nähe des Bremspedals befunden hätte. Sein persönlicher Ehrenkodex hinsichtlich eines Mitkriegers gestattete ihm nicht, um sie zu werben, wenn sie irgendeine Art von Verpflichtung Evan gegenüber geltend machte, aber genau das hatte sie ziemlich eindeutig vermieden, und wenn sie später auf eine seiner Avancen einging, wäre das als Antwort unmissverständlich genug.
Nolan hatte gewusst, dass sie im Trader Vic’s einen Valet-Parkservice hatten, aber es widerstrebte ihm grundsätzlich, einen Valet ans Steuer seiner Corvette zu lassen. Deshalb hatte er, als sie sich dem Lokal näherten, die Augen nach einem Parkplatz offen gehalten und erstaunlicherweise eine Lücke am Straßenrand erspäht, in der er, ohne groß zu überlegen,
geparkt hatte. Es war noch angenehm warm gewesen, mit einer ganz speziellen Milde im Licht des Abends, und ein Stück zu Fuß mit Tara zu gehen, hatte sich geradezu angeboten.
Inzwischen war es dunkel geworden. Nach typischer Manier der Sommer in San Francisco war die Temperatur in den letzten zwei Stunden um zehn Grad gesunken, und der beißend kühle Wind, der vom Pazifik herauffegte, füllte die Luft mit dem Staub der Straßen. Außerdem verlief die Golden Gate Avenue, in der sie gingen, in westöstlicher Richtung, weshalb sie den Wind bündelte und seine unangenehme Wirkung verstärkte.
»Ganz schön frisch auf einmal«,
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