Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
verborgen. Er wusste nicht, wie viele Stunden er im Internet unterwegs gewesen war, um für sie alle Namen zu finden, und das Schlimmste war, dass er auch an einem Hauch von Anthropophobie litt.
Henrik hatte ganz einfach Angst vor der Nähe anderer Menschen. Was keine besonders gute Eigenschaft für einen Polizisten war, und seine Mutter hatte ihn gewarnt. Sie meinte, er sollte seinen Kindheitstraum wahr machen und Paläontologe werden. Niemand fürchte sich vor den Überresten der Saurier, glaubte sie gelesen zu haben. Aber Henrik setzte sich durch.
Er wollte Polizist werden. Ermittler wollte er werden. Er fürchtete sich zwar vor vielem, aber das Modellbauen hatte ihn früh den Wert von geduldiger Genauigkeit gelehrt, eine Eigenschaft, die ihn, wie er meinte, zu einem guten Ermittler machen würde. Als kleiner Junge war er nur von seinen Eltern ernst genommen worden. In der Uniform würden die anderen ihn sehen. Es war etwas aus ihm geworden, und es würde noch viel mehr aus ihm werden.
Als Teenager bekam er seine Phobien besser in den Griff. Nachdem er eine Fernsehsendung über Konfrontationstherapie gesehen hatte, arbeitete er mit aller Härte an sich selbst. Er fing Spinnen und legte sie in sein Bett, er zwang sich, in der Badewanne den Kopf unter Wasser zu halten. Er suchte Reitschulen auf, Kühe auf der Weide, und er konnte sich in Bahnhöfe und Kinosäle setzen, einfach nur, um sich an die Nähe vieler Menschen zu gewöhnen. Und das hatte gewirkt.
Jetzt, mit sechsundzwanzig, fiel ihm das alles viel leichter. Noch immer machte er einen großen Bogen um Insekten und Tiere überhaupt, und im Meer badete er nie. Er konnte zwar noch immer nicht gut mit Menschen umgehen, aber irgendwie ging es schon. Er hatte Freunde, ein Abend in der Stadt konnte ihm wirklich Spaß machen, aber mit Fremden ins Gespräch zu kommen war nach wie vor ein Problem.
In Situationen, auf die er sich hatte vorbereiten können, ging es meistens gut, aber das hier mit Freddy Monsen kam zu überraschend. Henrik versuchte, nicht so heftig zu schlucken. Sein verdammter Adamsapfel war zu groß und verriet ihn, sowie ihn auch nur ein Hauch von Unsicherheit überkam.
»Ich habe versucht, Sie anzurufen«, sagte sein Gegenüber. »Sie haben zwar Ihre Nummer auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen, aber Sie sind nicht ans Telefon gegangen. Also habe ich ein bisschen rumgefragt und erfahren, dass man Sie in dieses ...«
Wieder ließ er den Blick durch das Zimmer wandern, von den leeren Bücherregalen über die nackten Wände bis zum Schreibtisch, auf dem nur der eine Fall lag.
»... Kabuff gesteckt hat«, sagte er grinsend. »Was treiben Sie denn hier eigentlich?«
»Es geht um einen ... einen möglichen Mordfall.«
Freddy Monsen grinste breit. Ihm fehlte ein halber Schneidezahn, und ein dicker Priem sonderte Saft ab.
»Ja, sind wir nicht alle gerade mit Mordfällen beschäftigt?«, sagte er und spuckte in die Luft. »Verdammte Scheiße, was für ein Arsch.«
»Es ist ein anderer Fall«, murmelte Henrik Holme. »Eine Art ...«
»Ja, ja, ja.«
Freddy Monsen winkte ungeduldig mit seiner rechten Pranke.
»Warum wollten Sie mit mir reden?«
»Es geht um einen Insiderhandel«, sagte Henrik schnell. »Er wurde erst vorige Woche im STRASAK registriert.«
»Ach, der!« Monsen schlug die Beine übereinander, faltete die Hände um das Knie und schob die Oberlippe vor.
»Sie wissen, welchen Fall ich meine?«, fragte Henrik. »Einfach so?«
Er fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die Mundwinkel. Er wünschte, Monsen würde das auch tun, der Tabakssaft hatte dort schwarze Halbmonde hinterlassen.
»So viele Insidersachen gibt es nun auch wieder nicht«, sagte Freddy Monsen. »In der vorigen Woche habe ich nur einen registriert. Hab mich noch nicht damit beschäftigen können. Das bisschen, was es darüber zu wissen gibt, habe ich im Kopf. Warum fragen Sie?«
»In diesem ...«
Henrik riss sich zusammen. Die Angst, der Fall könnte ihm weggenommen werden, machte ihn noch unsicherer, als er ohnehin schon war.
»Ich untersuche etwas, das in Verbindung mit einem der Namen steht, die im STRASAK auftauchen«, sagte er deshalb nur. »Jon Mohr. Geschäftsführer bei der Mohr und Westberg AG. Nennt sich übrigens wohl geschäftsführender Direktor. So ein PR-Büro, Sie wissen schon.«
»Genau«, sagte Monsen und schnippte mit den Fingern der rechten Hand. »Er steht da, weil wir eigentlich keine Verdächtigen haben. Ein bisschen
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