Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
war. Und als er sich den Arm gebrochen hatte, beim ersten und beim zweiten Mal. Jon Mohr war mit seinem Sohn bei Volvat gewesen, als Sander eine Verbrennung zweiten Grades hatte, nachdem ihm seine Spielzeugeisenbahn in den Kamin gefallen war. Hier gab es ein Muster, endlich eine Spur, eine fast zu deutliche, und Henrik Holme schluckte.
Wenn eine Geschichte ersonnen und der Sohn angehalten werden musste zu schweigen, brachte der Vater ihn zum Arzt.
Nicht Ellen.
» Yesssss«, sagte Henrik Holme durch zusammengebissene Zähne.
Er war noch weit von einer Urteilsbegründung entfernt, meilenweit, aber das konnten keine Zufälle sein. Endlich war Henrik Holme sich seiner Sache sicher, und Jon Mohr sollte erfahren, wie es war, an einen überzeugten Polizisten zu geraten.
Es war zehn Uhr am Freitagabend. Yngvar schlief. Als sie von ihrer Wanderung in den Maridalsbergen zurückgekehrt waren, stand in der Küche eine große Portion Kartoffeleintopf von Inger Johannes Mutter. Früher, als sie noch keine Witwe gewesen war, hätte die Mutter sich mit dem Ersatzschlüssel, den sie sich ertrotzt hatte, selbst eingelassen und auf sie gewartet. Jetzt hatte sie eine SMS geschickt, sie habe für eine ganze Kompanie gekocht und nicht genug Platz in der Tiefkühltruhe. Falls es Inger Johanne recht wäre, würde sie ihnen gern zwei Portionen bringen. Sie könnte sich ja mit ihrem Reserveschlüssel hereinlassen, während die beiden unterwegs wären.
Ehe die Mutter Witwe geworden war, hätte Inger Johanne dankend abgelehnt.
Jetzt war sie dankbar.
Yngvar aß schweigend und ohne zu bemerken, dass für Inger Johanne nichts übrig blieb. Danach duschte er den Warmwasserspeicher leer und fiel ins Bett.
Jack lag wie tot unter dem Couchtisch. Der Ausflug war auch für ihn anstrengend gewesen, und nur sein schwaches langsames Schnarchen verriet, dass er noch am Leben war.
Eben hatte Isak angerufen.
Inger Johanne hatte zehn Minuten lang mit Kristiane gesprochen. Überraschenderweise hatte Kristiane die Terrorangriffe auch jetzt nicht erwähnt, wie schon die ganze Woche nicht. Sonst konnte sie bei viel weniger schwerwiegenden Ereignissen untröstlich sein. Ein Zeitungsartikel über einen Elch, der sich auf die U-Bahnschiene verirrt hatte und erschossen werden musste, hatte sie im Frühsommer mehrere Tage in Verzweiflung gestürzt. In Kristianes fein abgestimmter Skala für traurige Geschehnisse sprengte der Doppelangriff auf Regierungsviertel und Utøya alle Dimensionen, und deshalb ignorierte sie das Ganze lieber. Isak wollte sie nicht bedrängen, und Inger Johanne war da ganz seiner Meinung. Ragnhild war zu beschäftigt im Schwimmbecken, um überhaupt mit ihrer Mutter sprechen zu können. Inger Johanne wollte schon sagen, dass die Kleine längst ins Bett gehörte, nahm sich dann aber zusammen.
Sie war so froh, dass die Kinder in Frankreich waren, in einem Haus ohne norwegisches Fernsehen und ohne Internet.
Aus einem Karton auf dem Küchentisch schenkte sie sich ein Glas Wein ein.
Der Schwangerschaftstest, fiel es ihr dann ein, und sie starrte missmutig in ihr Glas.
Sie konnte damit nicht mehr warten. Sie goss den Wein ins Spülbecken, ließ Wasser nachlaufen und stellte das Glas in die Spülmaschine. Auch wenn sie dieses Kind nicht behalten konnte, wenn sie keinen Platz dafür hatte, keine Zeit, war es ihr doch zuwider, jetzt zu trinken. Am Sonntag hatte sie zwar ein halbes Glas geleert, aber da war sie so erschöpft gewesen, dass sie nicht nachgedacht hatte.
Die ganze Woche lang hatte sie sich Entschuldigungen überlegt, um den Test nicht zu machen. Sie hatte erst vor acht Wochen zuletzt ihre Regel gehabt, es war noch immer Zeit genug, ehe die Frist für eine Abtreibung verstrichen wäre. Außerdem war die Vorstellung einer Schwangerschaft doch absurd. Sie war zu alt. Ihr Zyklus war seit mindestens einem Jahr unregelmäßig, und ihre Mutter hatte immer darüber geklagt, dass sie zu früh in die Wechseljahre gekommen sei. Solche Dinge waren erblich, meinte Inger Johanne gelesen zu haben. Sie war nicht schwanger. Ihr Körper veränderte sich nur zu einer Menopausenfigur. Frauen wie Ellen, die sich um Sinn und Verstand trainierten, wurden in diesem Alter spindeldürr. Inger Johannes physische Aktivitäten dagegen begrenzten sich auf ihre Spaziergänge mit Jack. Heute war ihr nicht einmal schlecht gewesen. Es war an der Zeit, sich den Gedanken an noch ein Kind aus dem Kopf zu schlagen. Sie schlich ins Schlafzimmer.
Yngvar
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