Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
je so was sagen würde, aber lasst den Kerl nicht ungeschoren davonkommen. Lasst nicht zu, dass der Vater des Jungen sich aus der Sache rausredet ...«
»Moment mal«, unterbrach Henrik sie und hob die rechte Hand. »Sie haben den Verdacht, dass Sander schon lange misshandelt wurde?«
»Ja. Sind Sie seinem Vater begegnet?«
»Sicher«, er nickte. »Aber ich ...«
»Unangenehmer Typ. Düster. Abweisend. Er konnte mich nicht ausstehen. Obwohl ich mit seiner Frau durchaus zurechtkomme, hat er mehrmals versucht, mich loszuwerden.«
»Davon hat Haldis Grande gar nichts gesagt. Im Gegenteil, sie hat gemeint, die Eltern hätten hart dafür gekämpft, dass Sander eine Betreuerin bekam.«
»Eine Betreuerin, ja! Aber als sie mich dann hatten, klang das schon anders. Außerdem ...«
Sie strich sich die Locke hinter das Ohr.
»Haldis Grande«, sagte sie verächtlich.
»Was ist mit ihr?«
»Die traut doch niemandem was Schlechtes zu. Der liebste Mensch der Welt. Kann unglaublich gut mit den Kindern umgehen. Sie lieben sie. Sander auch. Das Problem an Leuten wie Haldis Grande ist, sie sind zu ... naiv. Viel zu naiv.«
»Haben Sie je mit ihr über Ihren Verdacht gesprochen?«
»Das hätte nichts gebracht. Haldis Grande und ich sind fast gleichaltrig, aber ziemlich ... verschieden, könnte man sagen.«
Henrik nickte und schluckte.
»Leute wie Haldis glauben an das System«, sagte Elin Foss, mit mehr als nur einem Hauch von Verachtung in der Stimme. »Sie glaubt, dass alles funktioniert. Sie glaubt an die Sozialdemokraten und die Hierarchie in der Schule und den Nationalfeiertag, sie glaubt an ...«
Sie verdrehte die Augen und schlug sich an die Stirn.
»Nehmen Sie doch diesen Terroristen! Ich bin sicher, dass Haldis im tiefsten Herzen glaubt, dass er eigentlich weder böse noch verrückt ist. Sie sieht nicht, dass es so kommen muss, so lange wir den übelsten Rassisten überall freie Hand lassen. Er ist als Kind sicher nicht genug geliebt worden, denkt Haldis. Wurde nicht gesehen, oder so.«
Das hatte sich Henrik auch schon überlegt.
»Wäre es aber nicht doch naheliegend gewesen, mit ihr über diesen Verdacht zu sprechen?«
»Nein.«
»Nein?«
»Sie kennen sie nicht. Ich schon.«
Henrik merkte, dass seine Begeisterung für diese alternde Radikale rasch abnahm. Wenn sie die Wahrheit sagte und davon überzeugt gewesen war, dass bei Familie Mohr etwas nicht stimmte, war es nicht nur nachlässig gewesen, nicht Alarm zu schlagen. Es verstieß gegen das Gesetz.
»Deshalb bin ich lieber gleich zum Rektor gegangen«, sagte Elin Foss.
Henrik räusperte sich. Er legte den Kopf schräg.
»Was?«, fragte er verblüfft.
»Ich bin zum Rektor gegangen.«
»Womit denn?«
»Mit einer schriftlichen Mitteilung. Zweimal. Zum ersten Mal vor etwa anderthalb Jahren, gegen Weihnachten 2009. Und dann jetzt im Frühjahr. Sander kam mit dem Arm in Gips zur Schule. Ich glaube, das war im April. Als ich gefragt habe, was denn passiert sei, tat er die Sache mit seinem üblichen Schulterzucken ab.«
»Was ... was hat er gesagt?«
»Ich weiß nicht mehr genau. Doch ...«
Sie feuchtete sich die Lippen an. Die Übertragung ließ alle Bewegungen verlangsamt erscheinen, und beim Anblick der trägen Zungenspitze musste Henrik sich ebenfalls die Lippen lecken.
»Nur eine Bagatelle«, sagte sie. »Das hat er oft gesagt. Nur eine Bagatelle.«
»Und was hat der Rektor gemacht?«
»Nichts. Absolut gar nichts.«
»Wissen Sie das sicher?«
Sie zuckte mit den bloßen Schultern und versuchte, die lose Locke zu befestigen. Als sie die Arme hob, sah Henrik, dass sie sich unter den Achseln nicht rasiert hatte. Er versuchte, ruhig zu atmen, als er zusammenfasste: »Der Rektor hat also zwei schriftliche Mitteilungen einer seiner Angestellten erhalten und rein gar nichts unternommen?«
»Als Erstes hätte er ja wohl mit mir reden müssen. Ich habe von ihm keinen Mucks gehört. So läuft das eben, wissen Sie. Der feigste Rektor der Welt unternimmt doch nichts gegen einen Mann wie Jon Mohr. Einen Mann mit Position. Niemand unternimmt etwas gegen einen Mann mit Position. So läuft das System doch. Oder?«
Sie starrte ihn herausfordernd an, ehe sie mit einer weichen Kreisbewegung ihres Kopfes die Haare herabfallen ließ. Danach starrte sie überrascht auf ihren eigenen Bildschirm. Der war leer.
Henrik Holme stürzte bereits aus dem Zimmer.
»Sander und Kasper waren eigentlich nicht befreundet«, sagte Marianne Kaspersen und schenkte
Weitere Kostenlose Bücher