Schattenkinder - im Zentrum der Macht
der Motor hustete einige Male und kam dann stotternd auf Touren. Es hörte sich an, als röhre ein Jumbojet durch die Nacht. Trey war sicher, dass das Getöse nicht nur Marks Familie, sondern auch sämtliche Nachbarn aufwecken würde.
Mark jedoch wirkte unbesorgt. Er klopfte lediglich aufs Armaturenbrett und murmelte: »Gute alte Bessie.«
Trey kniff vor Angst die Augen zu. Was dachte er sich nur dabei? Wie konnte er sich auf so etwas einlassen? Warum begab er sich wissentlich in Gefahr?
Neben ihm begann Mark zu pfeifen. Zu pfeifen!
Trey öffnete die Augen einen Spalt. Am Armaturenbrett leuchteten Anzeigen und Zahlen. Vor ihnen durchschnitten die Scheinwerfer die undurchdringliche Dunkelheit.
»Warum hast du deiner Familie nicht Bescheid gesagt?«, fragte Trey leise. »Wie konntest du sie einfach –« Fast hätte er»im Stich lassen« gesagt, hielt sich aber im letzten Moment zurück. »Wieso bist du fortgefahren ohne sie wissen zu lassen, wohin du gehst?«
Mark warf ihm einen kurzen Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße.
»Weil sie sich nur Sorgen machen würden«, sagte er.
»Und so werden sie sich keine Sorgen machen, wenn du Hals über Kopf verschwindest?«, fragte Trey ungläubig.
»Sie werden denken, dass ich eine Spritztour mache und mir ein bisschen Ärger einhandle.« Mark zögerte. »Kleinen Ärger, keinen großen.«
Trey wollte überhaupt keinen Ärger, weder kleinen noch großen. Ob Mark so etwas schon öfter getan hatte – sich mitten in der Nacht mit dem Auto seiner Familie aus dem Staub zu machen, weiß-der-Kuckuck-wohin? Rechneten sie bei ihm mit solchen Dingen? Was hatte er, Trey, sich nur dabei gedacht, sich mit einem solchen Kerl einzulassen?
»Oh, oh«, murmelte Mark.
»Was ist?«, fragte Trey ängstlich.
Mark antwortete nicht, sondern zeigte wortlos auf ein Paar Scheinwerfer, das direkt auf sie zukam.
12. Kapitel
B ieg irgendwo ab! Wir müssen uns verstecken!«, schrie Trey. Ohne nachzudenken lehnte er sich hinüber und griff ins Lenkrad. Mark schob ihn mit der Hand zur Seite, ebenso leicht, wie er eine Fliege beiseite wischen würde.
»Hier gibt’s keine andere Straße und nix«, sagte er. »Willst du im Straßengraben landen? Wart einfach ab –«
Die Scheinwerfer kamen näher. Mark schien zu beschleunigen und einen Moment lang wagte Trey wider alle Vernunft zu hoffen. Wie schnell musste der Pritschenwagen fahren, um über einen entgegenkommenden Wagen – oder eine andere Gefahr – einfach drüberzuspringen? Doch das war ein kindischer Gedanke, er hatte ihn aus einem Comic, den seine Mutter ihn einmal hatte lesen lassen, während sein Vater dachte, er lerne Latein. Echte Lastwagen sprangen nicht über Hindernisse.
»Hmm«, murmelte Mark. »Das ist der alte Hobart.«
»Wer?«, fragte Trey.
Mark trat auf die Bremse.
»Was machst du da?«, rief Trey.
»Schscht«, sagte Mark.
Der Wagen wurde langsamer und blieb stehen, als das andere Fahrzeug – ebenfalls ein Pritschenwagen – sich direkt neben ihnen befand. Gelähmt vor Entsetzen konnte Trey nur zusehen, wie Mark langsam die Fensterscheibe herunterkurbelte. Der andere Fahrer tat das Gleiche.
»Hey«, sagte Mark.
»Hey«, sagte der andere Fahrer. Trey konnte in der Dunkelheit nur erkennen, dass es ein alter Mann war. Seine weiß grauen Kopf- und Barthaare schimmerten unheimlich im grü nen Licht der Anzeigen auf dem Armaturenbrett.
»Wen hast’n da bei dir?«, wollte der alte Mann wissen.
»Meinen Vetter«, sagte Mark gelassen. »Er war hier zu Besuch, als – weißt schon. Hobart, das ist Silas. Silas, das ist Hobart.«
Trey nahm an, dass er mit Silas gemeint war. Er nickte steif, auch wenn Hobart das im Dunkeln vermutlich nicht sehen konnte. Trey war froh über die Dunkelheit. Sie würde es Hobart unmöglich machen, je zu beschreiben, wen er genau gesehen hatte.
»Also, ich für meinen Teil bin so alt, dass es keine Rolle mehr spielt, was mit mir passiert«, sagte Hobart. »Deshalb hat meine Familie auch
mich
in die Stadt geschickt, um nachzusehen, ob wir noch Geld auf der Bank haben. Aber zwei junge Hüpfer wie ihr – wohin habt ihr es denn so eilig, dass ihr dafür euer Leben aufs Spiel setzt?«
Trey hielt die Luft an. Mark würde es nicht wagen, diese Frage zu beantworten, oder doch?
»So schnell fahre ich doch gar nicht«, erwiderte Mark.
Hobart lachte leise. Es war ein bitterer Laut in der Dunkelheit.
»Schnell oder langsam, ist doch egal. Wer sich in diesen Zeiten vor
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