Schattenkinder - im Zentrum der Macht
Veränderung der endlosen Schwärze. Doch je weiter er sich vorwärts schlängelte, mehr denn je bemüht leise zu sein, desto heller wurde es. Schon bald erkannte er vor sich im Schacht das Lichtmuster eines Abdeckgitters. Und er hörte Stimmen.
»Inakzeptabel! Völlig inakzeptabel, sage ich!«, tobte eine Männerstimme.
Die Stimme kam Trey vage bekannt vor, doch er konnte sie nicht gleich zuordnen. Sie gehörte weder Mr Talbot noch Mr Hendricks oder irgendeinem Lehrer der Hendricks-Schule. Es war auch nicht der Mann, der ihn im Uniformraum angebrüllt hatte. Welche anderen Männerstimmen kannte Trey sonst noch?
Vorsichtig bewegte er sich auf das Licht zu und spähtedurch ein Gitter, das sogar noch größer und kunstvoller war als das in der Toilette. Unter sich erblickte er einen dunkelhaarigen Mann, der hinter einem riesigen Schreibtisch saß. Uniformierte Officers der Bevölkerungspolizei saßen in mehreren Reihen vor ihm, wie Schuljungen, die etwas ausgefressen hatten. Trey zuckte wie von der Tarantel gestochen zurück, aus Angst, einer von ihnen könnte im falschen Moment den Kopf heben. Er lehnte die Wange an das kühle Metall der Schachtwand und lauschte seinem heftig klopfenden Herzen. Was war, wenn sie ihn bereits gesehen hatten? Wenn sie sein Herzklopfen ebenfalls hören konnten?
Doch niemand schrie: »He! Da oben steckt ein Junge hinter dem Abdeckgitter!« Niemand schrie: »Packt ihn!« Allmählich legte sich Treys Angst und er konnte weiter zuhören.
»Wir sind jetzt an der Macht!«, fuhr der Mann mit seiner Tirade fort. »
Ich
bin jetzt an der Macht!«
Schlagartig wusste Trey, wer das war. Er hatte die Stimme schon einmal gehört, im Fernsehen, bei den Talbots. Der Mann, den er belauschte, war Aldous Krakenaur, der Chef der Bevölkerungspolizei und das neue Oberhaupt des Landes.
Und solange Aldous Krakenaur seine Männer nicht fortschickte, so dass Trey weiterkriechen konnte, saß er fest; ein einziges Niesen oder Husten trennte ihn davon, von seinem schlimmsten Feind gefasst zu werden.
19. Kapitel
N atürlich löste der Gedanke daran, niesen oder husten zu müssen, genau dieses Bedürfnis in Trey aus. Er erwog zurückzukriechen, eventuell sogar bis zum Toilettenraum, von dem aus er gestartet war, doch inzwischen war seine Angst davor, dass seine Knöpfe über den metallenen Schachtboden schleifen könnten, ins Uferlose gewachsen. Er hielt sich im Moment ohnehin keiner Bewegung für fähig. Gelähmt vor Angst lag er da und hörte weiter zu.
»Wir sind jetzt alles, versteht ihr das nicht?«, wetterte Krakenaur weiter. »Ich habe dieses Haus in Besitz genommen, weil es das einzige im Land ist, das der Erhabenheit meiner Herrschaft und der Großartigkeit meiner Vision gerecht wird.«
Und weil die Grants tot sind und keine Einwände erheben können
, dachte Trey. Er fragte sich, ob auch nur einer der Bevölkerungspolizisten, die da so brav vor ihrem Befehlshaber saßen, die Wahrheit kannte. Allein solche aufsässigen Gedanken denken zu können machte ihm ein wenig Mut.
»Und heute treffe ich ein, um ein wenig auszuruhen und die Erfolge meiner ersten ruhmreichen Amtstage zu genießen, und was muss ich feststellen? Gossenjungen zertrampeln meine Außenanlagen und verdrecken meine herrliche Eingangshalle. Und im Keller hocken Gefangene – das alles hat weder Größe noch Würde oder Format. Ich wünsche ein Hauptquartier, das meiner würdig ist!« Er schien mit derFaust auf den Tisch zu schlagen, um seinem letzten Satz Nachdruck zu verleihen.
Erschrockenes Schweigen folgte, als wisse keiner der Officers etwas darauf zu sagen. Trey war ebenso perplex.
Gefangene im Keller . . . Gefangene im Keller . . .
Hatte Krakenaur ihm gerade verraten, wo er seine Freunde finden konnte? Um wen sollte es sich sonst handeln?
Unter den Polizisten erhob sich Geraune.
»Der Befehl, neue Rekruten aufzunehmen, wurde doch von
Ihnen
ausgegeben«, sagte jemand vorwurfsvoll.
»Es gibt doch wohl einen Hintereingang?«, fauchte Krakenaur. »Oder irgendeine Hütte in der Nähe, die wir für diese Zwecke in Beschlag nehmen können?«
Niemand antwortete. Nickten die Officers gehorsam oder machten sie zweifelnde Gesichter?, fragte sich Trey.
»Und es ist auch nicht so, als hätten wir Hunderte von Gefangenen im Keller«, murrte ein anderer. »Es gibt nur einen.«
Einen
? Trey sank der Mut. Dann befand sich wahrscheinlich nur Mark dort unten. Wo konnten Lee und die anderen sein?
Ein anderer Officer fügte beruhigend
Weitere Kostenlose Bücher