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Schattenkrieg

Schattenkrieg

Titel: Schattenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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wohl völlig den Verstand verloren, was?«, fuhr er in scharfem Tonfall dazwischen.
    »Bitte?«, fragte sie entgeistert.
    »Ich fragte, ob Sie nun völlig den Verstand verloren haben!« Seine Stimme war laut genug, um die Aufmerksamkeit der umstehenden Soldaten auf sich zu lenken.
    Er hat es darauf abgesehen, mich zu provozieren! Was bezweckt er damit? Was kann er damit gewinnen?
    »Erklären Sie mir das genauer«, meinte sie misstrauisch. Es wardie falsche Reaktion. Vermutlich hätte sie ihm gleich übers Maul fahren müssen. Aber ihr Rang war ihr einziger Joker, und den wollte sie nicht spielen, solange sie noch ein As in Ulrichs Ärmel vermutete.
    »Der Arzt da drinnen ist Serbe. Das Kind ist albanisch. Wenn es stirbt, wird es heißen, dass die Bundeswehr den Serben hilft, Albaner zu töten. Das ist
Ihre
Schuld!« Das Wort
Ihre
unterstrich er, indem er auf sie zeigte.
    Sie fixierte seinen Zeigefinger, keine zehn Zentimeter vor ihrem Gesicht. Er nahm ihn nicht runter. Sie griff danach, doch als sie ihn zur Seite ziehen wollte, stellte sie fest, dass seine Muskeln angespannt waren wie Stahlseile.
    Sie spürte die Aufmerksamkeit ihres ganzen Zuges auf sich ruhen. Niemand sagte etwas, niemand kam ihr zur Hilfe. Sie alle glotzten und warteten darauf, ob ihrem
Kampfgnom
doch noch etwas einfiel, um das Gesicht zu wahren.
    Schweiß brach ihr aus allen Poren. Was konnte sie tun? Er würde nicht auf sie hören, wenn sie ihm
befahl
, den Arm runterzunehmen. Sollte sie ihre Pistole ziehen und ihn bedrohen? Ihr fielen die Worte wieder ein, die ihr alter Leutnant beim 261. einmal gesagt hatte – niemals drohen, ohne bereit zu sein, die Drohung wahrzumachen. War sie bereit, auf Ulrich zu schießen, wenn er nicht reagierte?
    Kaum …
    In diesem Moment öffnete sich eine Tür, und Fatimas Stimme rief: »Veronika, wir brauchen Ihre Hilfe!«
    Veronika warf Ulrich noch einem bösen Blick zu, bevor sie an ihm vorbei in das Haus lief. Als sie die Tür hinter sich schloss, atmete sie erleichtert auf. Sie war der Konfrontation noch einmal entkommen. Doch aufgeschoben war nicht aufgehoben, und sie bangte vor dem Moment, wenn sie wieder vor die Tür treten musste.
    »Was soll ich tun?«, fragte sie.
     
    Als sie ungefähr drei Stunden später nach draußen trat, war sie in Schweiß gebadet. Sie hatte nicht viel tun können, außer dem Arzt oder Garnier steril anzureichen, aber die Anspannung, unter der sie gestanden hatte, war anstrengend genug gewesen. Inzwischen war die Operation vorbei, vielleicht sogar geglückt. Der Konfrontation mit Ulrich stand nichts mehr im Wege …
    Veronika sah ihn erneut an dem Bord-MG des Dingos stehen, diesmal mit einer Zigarette im Mund. Als er bemerkte, dass sie ihn ansah, zuckte er gelassen mit den Schultern, machte eine wegwerfende Geste.
Alles in Ordnung, Frau Leutnant
, schien er zu sagen,
die Sache von vorhin ist doch kalter Kaffee
.
    Und war sie das nicht auch? Die Auseinandersetzung war vorüber, Ulrich hatte gewonnen. Sie könnte ihn zwar noch einmal angreifen, aber was, wenn er auf ihre Autorität genauso wenig einging wie vorhin? Sie war frustriert und erschöpft und fühlte sich nicht mehr in der Lage, den starken Mann zu markieren.
    Sie schüttelte den Kopf. Diese Runde ging eindeutig an Ulrich, beinahe sogar mit einem Knockout, wenn Fatima nicht zufällig dazwischen gekommen wäre. Veronika wusste nicht, ob sie die Kraft hatte, noch eine weitere Runde durchzustehen …

RONAN
     
    Europastraße E14, Westschweden
    Mittwoch, 25. November 1998
    Die Außenwelt
     
     
    Der wolkenlose Himmel war übersät von zahllosen Sternen. Die dünne Mondsichel war bereits untergegangen. Die Uhr am Armaturenbrett stand auf 6:42. In einer Stunde würde die Dämmerung hereinbrechen. Die E14 zwischen Trondheim und Östersund wirkte wie ausgestorben. Außer ein paar vereinzelten Lastwagen war um diese Tageszeit noch niemand unterwegs. Im Fernlicht wirkte die Straße wie ein langer, düsterer Korridor zwischen den undurchdringlichen Wänden des Fichtenwaldes. Der Mittelstreifen zwischen den Fahrspuren blinkte monoton auf und ab.
    Ronan saß auf dem Beifahrersitz, dick in Winterjacke und Schal eingemummt. Es war kalt. Julius behauptete, dass die Fahrzeugheizung mehr Benzin fressen würde, und mehr Benzin bedeutete größere Umweltverschmutzung. Ronan, der nicht viel von solchen Dingen verstand, glaubte ihm. Außerdem störte es nicht besonders, er war von den winterlichen Fangtouren auf dem Boot Schlimmeres

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