Schattenkrieg
zuvor. Sie eilte weiter.
»Frau Leutnant!«
Sie wollte gerade an der nächsten Haustür rütteln, doch sie hielt inne und drehte sich um. Hinter ihr stand Schilling.
»Ich glaube, ich habe im letzten Dorf eine Arztpraxis gesehen. Es könnte auch eine Apotheke gewesen sein –«
»Verdammt, wir müssen es versuchen! Wer von den Leuten ist der beste Fahrer auf dem Wolf?«
Schilling zögerte nur kurz. »Der Obergefreite Wassermann«, meinte er.
»WASSERMANN!«, brüllte sie.
Der Bordschütze eines der Dingos hob die Hand.
»Machen Sie, dass Sie in den Wolf kommen. Beeilung! Sie«, damit zeigte sie auf einen Soldaten, der gerade im Weg stand, »besetzen das MG. Ulrich! Sie übernehmen hier das Kommando. Sehen Sie zu, dass der Junge in ein warmes Zimmer kommt. Garnier soll eine Operation vorbereiten. Der Junge wird durchgehend beatmet, wenn sich sein Zustand nicht verbessert. Ich bin so schnell wie möglich wieder zurück!«
Kurz darauf saß sie wieder auf dem Beifahrersitz des Wolfs. Auf der Rückbank saßen Schilling und der Dolmetscher. Wassermann wendete den Jeep. Die Reifen drehten für einen kurzen Moment auf dem glatten Boden durch, dann kam das Fahrzeug mit einem Satz in Fahrt. Wassermann fuhr ohne Rücksicht auf Mitfahrer oder Verkehrsregeln. Veronika ertappte sich bei einem Stoßgebet … Wenn ihnen jetzt nur niemand entgegenkommt …
»Setzen Sie die Kiste ja nicht in den Graben!«, brachte sie hervor.
»Keine Angst, Frau Leutnant«, antwortete Wassermann angespannt. »Ich weiß schon, was ich mache!«
»Es ist glatt!«
Der Fahrer warf ihr einen kurzen, bösen Blick zu, der sie zum Schweigen brachte.
Okay, okay.
Du
fährst, nicht ich. Du fährst, ich bete. Gute Arbeitsteilung …
Als sie kurz darauf auf die Hauptstraße einbogen, beschleunigteder Obergefreite noch einmal. Schlaglöcher schüttelten den Wolf, doch das musste das Geländefahrzeug aushalten.
Und je mehr Schlaglöcher, desto mehr Haftung, richtig?
argumentierte Veronika, sich trotz des Sicherheitsgurtes mit beiden Händen am Sitz festhaltend.
Die Fahrt dauerte nicht länger als fünf Minuten. Dennoch musste sie alle Selbstbeherrschung aufbringen, um nach dem Aussteigen nicht kotzen zu müssen. Mit zusammengebissenen Zähnen lief sie die Treppen zu dem Gebäudeeingang empor. Ein Schild neben der Tür zeigte den Äskulapstab und den Namen des Arztes, der hoffentlich zu Hause war. In diesem Moment war ihr ziemlich egal, ob er auch öffnen würde. Notfalls würde sie sie aufbrechen lassen und ihn mit eigenen Händen in den Wolf zerren.
Doch die Tür öffnete sich recht schnell, nachdem sie ihr Sturmläuten begonnen hatte. Ein großer, hagerer Mann mit früh ergrautem Haar und einer schmalen Brille öffnete die Tür, so weit es die vorgelegte Kette zuließ.
»Sagen Sie ihm«, befahl sie, »dass wir einen Jungen mit Hirnblutung haben. Er muss ihm wahrscheinlich den Schädel öffnen. Er soll seine Sachen packen und mitkommen!«
Der Dolmetscher übersetzte, was sie von dem Arzt erwarteten. Die schlaftrunkene Miene des Mannes schlug zuerst in ungläubiges Erstaunen, dann in Ablehnung um. Seine Antwort klang erschrocken, dabei schüttelte den Kopf. Die Aussage war klar, ohne dass Veronika die Worte verstehen musste. Er weigerte sich, und vermutlich hielt er sie für verrückt, einen solchen Eingriff ohne Krankenhaus und Operationssaal wagen zu wollen.
Schneller, als sie es sich jemals zugetraut hatte, riss sie die Pistole aus dem Halfter. Mit vor Zorn kalter, schneidender Stimme befahl sie: »Sie werden jetzt auf der Stelle Ihre Sachen für eine Notoperation zusammensuchen. Das Leben eines Kindes steht auf dem Spiel. Die Bundeswehr wird Sie für Ihre Bemühungen bezahlen. UND WENN SIE JETZT NICHT IN FÜNF MINUTEN IN MEINEM JEEP SITZEN, WERDE ICH SIE ERSCHIESSEN!«Den letzten Teil des Satzes schrie sie mit sich überschlagender Stimme.
Diesmal schien der Arzt keine Probleme zu haben, sie zu verstehen. Ihr war egal, dass er sie vermutlich für durchgedreht hielt. Wichtig war, dass er verstanden hatte, wie ernst es ihr war. Er verschwand hastig im Haus. Sieben lange Minuten später tauchte er wieder auf, mit einer großen Ledertasche unter dem Arm und Schweißperlen auf der Stirn. Veronika zwängte sich zu dem Dolmetscher und Schilling auf den Rücksitz, um den Arzt vorne Platz nehmen zu lassen. Sobald der seinen Sicherheitsgurt geschlossen hatte, klopfte sie Wassermann auf die Schulter. Er gab Gas. Sie angelte sich von vorne den
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