Schattenkrieg
und mich dem Phantom zu stellen! Wenn es uns angreift, werden wir ja sehen, wie stark es wirklich ist!«
Müde sah ihn Ronan an. Es war nicht das erste Gespräch dieser Art, das er mit Seog führte. Das Temperament des jungen Druiden war anstrengend. Kein Wunder, war doch Seogs Mutter eine Wikingerfrau gewesen, die erst durch das Ritual der Entwurzelung das spirituelle Erbe der Germanen verloren hatte. Jeder wusste, wie hitzköpfig die Germanen gewesen waren. Auch Seogs Erscheinung zeugte von seiner Abstammung von diesem kriegerischen Volk: Er war hochgewachsen, mit muskulösen, breiten Schultern, sein Bart war blond und am Kinn zu zwei schmalen Zöpfen zusammengefasst, das Kopfhaar ganz kahl rasiert.
»Du willst kämpfen?«, fragte Ronan. »Mit der Klinge in der Hand gegen ein Phantom?«
»Es gibt genügend Legenden, die von solchen Kämpfen berichten! Bran hat den Kampf mit dem Schwarzen Mann gewonnen, und jeder kennt die Geschichte von Cynan und seinem Speer …«
Ronan hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. »Ja … Manchmal mag das gutgehen … Aber der Schwarze Mann beging den Fehler, seinen See zu verlassen und Bran an Land gegenüberzutreten, und von Cynan berichtet die Legende ebenfalls, dass er die Seeschlange
auf
den Klippen erschlagen hat. Aber du willst hinaussegeln, um das Phantom in seinem eigenen Element angreifen? Bei Wind, Sturm und Wellen, die größer sind als unsere Boote? Wie willst du kämpfen, wenn der Geist dein Boot versenkt, bevor er dich angreift? Etwa schwimmend?«
Seogs Mundwinkel zuckten. Ronan hatte den wunden Punkt inder Argumentation des jungen Druiden getroffen. »Wenn es sein muss …«, murrte er, aber ohne große Überzeugung.
»Um ein Phantom dieser Macht zu bekämpfen«, erklärte Ronan, »benötigen wir die Hilfe
unserer
Geister. Aber es kostet Kraft, einen diesem Phantom ebenbürtigen Geist zu erwecken. Kraft, Vorbereitung, die richtigen Sternkonstellationen und Vorzeichen. Der Häuptling ist bereits dabei, nach dem geeigneten Zeitpunkt zu forschen. Bis dahin muss der Wächterling ausreichen, um das Phantom abzuschrecken.«
Seog brummte etwas Unverständliches und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, das Knie gegen den Tisch gestützt, die Arme vor der Brust verschränkt, vermutlich in Gedanken bei einem heldenhaften Kampf Mann gegen Phantom, während um ihn herum die Gischt spritzte und das Meer tobte.
Ronan seufzte leise. Er fand die Lösung selbst mehr als zweifelhaft – sie brauchten Vorräte für den Winter, und außerdem war Fisch das wichtigste Handelsgut der Stadt. Dazu reichte es nicht, nur im Romsdalsfjord zu fischen. Er würde Männer hinausschicken müssen, an Otrøy und dem Wächterling vorbei zu den Fischgründen der Sunde, im Wissen, sie vielleicht in den Tod zu schicken. Es gab keine Alternative.
Eine Hand auf seiner Schulter riss ihn aus seinen Gedanken. Überrascht sah er in das Gesicht seiner Frau, Maela. Der Moment dauerte nur einen kurzen Augenblick, dann huschte sie auch schon weiter, um ihre Arbeit zu verrichten, doch dieser Moment genügte, um wieder ein Lächeln auf Ronans Gesicht zu zaubern. Sein Blick blieb an ihr hängen, der Frau, die er liebte und für die er bereit wäre, alles in seinem Leben aufzugeben. Ihre blonden Haare, so typisch norwegisch, die dunklen Augen, die funkeln konnten wie glühende Kohlen, wenn sie wütend war, die Nase mit der Narbe, die sie früher so unglücklich gemacht hatte, und der Mund mit den vollen Lippen, so ausdrucksstark, wenn es galt, ihren Dickkopf zu behaupten, und so weich, wenn sie sich liebten … Sie warf ihm noch einmal ein Lächeln zu, ehe sie imDurchgang zum hinteren, abgetrennten Teil des Langhauses verschwand.
Ronan drängte die Gedanken an das Phantom zur Seite. Es gab Arbeit zu verrichten. Als Druide und Herr über die Fischer des Romsdalsfjords war Ronan auch für die Rechtsprechung unter seinen Gefolgsleuten zuständig. Er war die letzten beiden Tage – seit Beginn des Sturms – auf hoher See gewesen, weshalb sich ein paar Fälle angesammelt hatten. Fagan stritt sich mit Meogon um einen Stapel Holz. Ein auswärtiger Fischer beschwerte sich über den Leibeigenen seines Nachbarn, der angeblich seine Tochter belästigt hatte. Ein weiterer Fischer hier aus Kêr Bagbeg war von Häuptling Nerin bestraft worden, weil er einen Händlergesellen geschlagen hatte, und verlangte, dass sich Ronan als sein Herr für ihn einsetzte.
Er hörte sich die Anliegen geduldig an. Wie immer waren die Fälle
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