Schattenkrieg
war der, der der Schlange vorhin in der Schattensprache geantwortet hatte. Es war ein alter Mann von dunkler Hautfarbe, mit schneeweißem Haar, das von einem mit schwarzen Federn geschmückten Stirnband gebändigt wurde. Ein großer Rabe saß auf seiner Schulter und musterte Derrien von der Seite.
»Seht Ihr?«, erwiderte Rushai. Seine Stimme klang nach unterdrücktem Zorn. »Er hat versucht, sich zu befreien. Er wird es wieder versuchen! Der Mann ist gefährlich, Herr, wir sollten ihn töten, solange wir noch die Gelegenheit dazu haben!«
»Der Geist wird ihn daran hindern«, meinte der Alte. Sein Akzent klang nach der Sprache, in der sich Derriens menschlicheWächter vorhin unterhalten hatten. In Schattensprache krächzte er ein paar weitere Worte.
Seine Begleiter, wie der Alte selbst dunkelhäutig, verstanden offenbar, was er sagte, und verfielen in Aktivität. Derrien versuchte, sich ihre Gesichter einzuprägen – wenn sie ihn verstanden, mussten sie ebenfalls Schatten sein! Einer nahm einen der zahlreichen Wasserschläuche, die er um den Körper geschlungen hatte, und schüttete eine dicke schwarze Flüssigkeit in einem weiten Kreis um Derrien. Ein weiterer stellte mühsam einen schweren, in Tücher gehüllten Gegenstand auf den Boden. Als er ihn auspackte, kam eine große, aus einem hohlen Baumstamm geschnitzte Trommel zum Vorschein. Ein dritter Schatten stellte innerhalb des Kreises mehrere Fackeln auf. Rushai beobachtete all dies mit unverhohlenem Zorn.
Derrien überlegte fieberhaft. Hier war ein neuer Schatten auf den Plan getreten, ohne Zweifel ein Lord, von dem er noch nie gehört hatte, mächtig genug, dass sogar Rushai ihm diente. Mächtig und fremdartig, wenn er und der Schwarze Baum noch nicht einmal die gleiche Schattensprache besaßen.
Ich muss sie warnen!
dachte Derrien und meinte damit die Stämme.
Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als mit wachsender Frustration den Schatten bei ihrem Werk zuzusehen. Bald hatten sie in dem Kreis einen siebenzackigen Stern gezogen, an dessen Ecken und Kreuzungspunkten sie Fackeln postierten. Der siebenzackige Stern, das Heptagramm, war eines der mächtigsten okkulten Symbole. Derrien spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Was hatten diese Hurensöhne mit ihm vor?
»Herr«, begann Rushai von neuem, diesmal mit beschwörendem Unterton. »Das ist
mein
Gefangener, ich habe ein
Recht
darauf, mitzubestimmen, was mit ihm geschieht! Er ist zu
mächtig
für das Ritual, das Ihr vorhabt! Der Dämon –«
»Nun
schweig
endlich!«, fuhr ihm der fremde Lord über den Mund. »Alle Beschlüsse sind bereits gefasst. Die Sterne stehen so günstig wie nie! Alles, was uns jetzt noch trennt von der erfolgreichen Bindung, ist deine
Feigheit
!«
Rushais Augen verengten sich vor Zorn. Für einen Moment war sich Derrien sicher, dass sich der Schwarze Baum auf den Alten stürzen würde; doch dann drehte sich Rushai wortlos um und verschwand im Nebel.
Schließlich waren sie fertig mit ihren Vorbereitungen. Einer der Schatten entflammte die Flüssigkeit, aus der der Kreis und das Heptagramm geformt waren. Ein anderer begann, mit den Händen auf dem hohlen Baum einen dumpfen Rhythmus zu spielen. Der Dritte kniete sich neben Derrien und spannte mit den Händen eine Schriftrolle auf, die über und über mit schwarzen Klauenrunen beschrieben zu sein schienen.
Nun ging auch der fremde Lord vor Derrien in die Knie. Vor seinen Augen verwandelte er sich. Mit knisternden Geräuschen riss seine Haut ein, welkte sein Fleisch und zog sich von seinen Wangen zurück, bis nur noch blanker Knochen übrigblieb. Seine Augen krochen in ihre Höhlen zurück, Lippen und Zahnfleisch verdorrten in Sekundenbruchteilen. Zurück blieb ein fahler Totenschädel, in dessen leeren Augenhöhlen grüne Flammen loderten.
Ein Schatten mit einer natürlichen Gestalt
, dachte Derrien halb fasziniert, halb erschüttert.
Vielleicht ein Schatten aus einem afrikanischen Schwarm? Verdammt, woher kommen plötzlich all die Afrikaner?!
Der Lord zog einen Gegenstand aus seinem Gürtel. Es war ein Dolch mit einer Klinge aus schwarzem Stein, mit merkwürdigen Mustern und Verzierungen und einer böse gezackten Schneide. Derrien verzog angewidert das Gesicht. Welche Wunden mochte eine solche Klinge reißen?
Nachdem der Skelett-Schatten einen Blick auf das Pergament geworfen hatte, hob er die Klinge zu Derriens Gesicht. Derrien presste die Zähne aufeinander und spannte jeden einzelnen Muskel seines Körpers an. Er hatte
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