Schattenkrieg
damit gerechnet, darauf war er vorbereitet. Er würde nicht schreien …
Die Intensität des Schmerzes überraschte ihn völlig. Als die schwarze Klinge die Haut seiner Stirn ritzte, war es, als ob jemandein glühendes Eisen direkt in sein Hirn gestoßen hätte. Die Augen zusammengepresst und mit knirschenden Zähnen, stemmte er sich gegen den Holzpfahl im sinnlosen Versuch, dem Dolch auszuweichen. Als der Schmerz nicht nachließ, stieß er durch die Zähne hindurch ein gequältes Stöhnen aus, das erst abriss, als der Lord die Klinge wieder herunternahm, um nach dem nächsten Symbol zu sehen.
Schlaff sank Derrien in sich zusammen. Sein Atem kam stoßweise, sein Herz raste. Panik erfüllte ihn, als er sich daran erinnerte, dass das Pergament voll von solchen Zeichen war.
Erneut setzte der Lord die Klinge gegen seine Stirn. Erneut flammte dieser brennende Schmerz hinter seinen Augen auf, erneut konnte er einen Schrei nur mit allerletzter Anstrengung unterdrücken. Mit Blut vermischter Schweiß rann von seiner Stirn in seine Augenbrauen und von dort weiter die Wangen hinab. Die Fesseln schnürten in seine Haut und rissen Wunden, die erst in der sich anschließenden Pause wieder verheilten. Die Wunden auf seiner Stirn verheilten nicht …
Das nächste Symbol. Sein Stöhnen wurde lauter und lauter, bevor sich Derrien kraftvoll auf die eigene Zunge biss, um sich vom Schreien abzuhalten. Metallischer Eisengeschmack erfüllte seinen Mund. Mühsam spuckte er aus. Er spürte Blut und Schleim von seiner Unterlippe tropfen.
Die nächste Rune brachte Derrien schließlich völlig um seine Selbstbeherrschung. Er stieß einen langen, gellenden Schrei aus, während der Schmerz durch seinen Kopf schoss, und presste sich mit aller Kraft gegen den Pflock in seinem Rücken. Erst, als der Schatten absetzte, erstarb auch der Schrei auf seinen Lippen. Es war erst das vierte Zeichen, und Derrien wünschte sich den Tod herbei.
Als er wieder zu Bewusstsein kam, fühlte er sich zerschlagen und elend. Sein Gesicht brannte wie Feuer, der Schmerz erstreckte sich bereits bis zu seiner Brust. Der Geschmack von Blut lag auf seinerZunge. Ein rötlicher Schimmer drang durch seine noch geschlossenen Augenlieder, und er hörte einen fernen, irritierenden Pfeifton.
Mühsam öffnete Derrien die Augen.
Die Nacht war noch dunkler geworden, der Nebel noch dichter, so dass er nur seine nächste Umgebung erkennen konnte. Da war der Skelett-Schatten mit seinem Dolch, der mit auffällig langsamen Bewegungen Klauenzeichen in Derriens Haut ritzte. Dicht neben ihm war einer seiner Schattendiener mit der Pergamentrolle im Arm. Rushai stand zwei Schritte dahinter. Die Wut war aus seinem Gesicht gewichen und hatte einer dumpfen, grollenden Verbissenheit Platz gemacht. Beinahe hätte Derrien gelächelt – er selbst würde sich an Rushais Stelle nicht anders verhalten … Alles Weitere verschwand im Nebel.
Bis auf einen absonderlichen Pfeifton herrschte absolute Stille. Kein Windhauch regte sich, der Nebel schluckte jedes Geräusch. Er konnte noch nicht einmal seinen eigenen Atem hören! Das Pfeifen selbst wurde dafür langsam lauter. Der Ton jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken und ließ seine Hände schwitzen. Er spürte ein Kribbeln in seinen Beinen und versuchte unruhig, sie zu bewegen.
Er schien der Einzige zu sein, der das Pfeifen hörte. Die anderen ließen sich jedenfalls nicht davon beeindrucken. Zusammen mit dem blutigroten Licht, das sich schlierenhaft im Nebel ausbreitete, jagte es Derrien mehr Angst ein als der Dolch, den der Schattenlord gerade in unendlicher Langsamkeit zur nächsten Rune ansetzte.
Genauso, wie das Pfeifen lauter wurde und sich das Leuchten ausbreitete, wurde Derrien nach und nach bewusst, dass sich etwas näherte. Er spürte eine magische Präsenz, eine Aura langsam stärker werden und Gestalt annehmen.
Rushais Augen weiteten sich plötzlich vor Überraschung. Er wandte sich um, seine Bewegung unendlich langsam und zäh, während sich seine Rechte in Richtung des Schwerts bewegte. SeinMund formte mit trägen Bewegungen Worte, die Derrien nicht hören konnte.
Die Zeit floss dahin wie dicker, goldener Honig. Das Pfeifen wurde lauter. Rushai zog noch in der Bewegung die Klinge blank, schwenkte sie in einem langsamen, todbringenden Bogen. Seine Lippen formten weiter lautlose Worte. Der Skelett-Schatten sah mit einer zähen Bewegung auf. Dem Schatten daneben stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben.
Derrien
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