Schattenkrieg
Brynndrech?«, fragte sie neugierig.
»Das ist auch noch so ein unbeschriebenes Blatt«, gab Fiona zurück. »Ein Druide aus Wales. Sie haben ihn kurz nach seiner Geburt zu uns geschickt, weil er einen Buckel hat.«
Keelin verstand nicht ganz. »Und was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
»Auf dem Land ist man abergläubisch, was Missgeburten angeht. Die wollten den Jungen loswerden und haben gleichzeitig gehofft, dass wir ihn heilen können. Das eine hat funktioniert, das andere leider nicht. Vor kurzem haben wir herausgefunden, dass in ihm Druidenkräfte erwacht sind.«
»Und deshalb soll er auch nach Norwegen. Verstehe.« Was Keelin jedoch ganz und gar nicht verstand, war, warum ihn seine Eltern hatten
loswerden
wollen. Oder zumindest, warum er nicht mehr zurück nach Wales gebracht worden war, nachdem die Heilung gescheitert war. Sie fragte jedoch nicht nach – sie spürte, dass ihr die Antwort nur einen weiteren unrühmlichen Ausschnitt aus dem Leben in der Innenwelt bieten würde, und ihre Laune war auch so schon schlecht genug.
Schließlich bog der Bus auf die Küstenstraße ein. Auf das Bild, das sich ihnen nun bot, war Keelin nicht vorbereitet. Der gesamte Moray Firth war schwarz und voller Ölschlick.
Die Ölpest!
schoss es ihr durch den Kopf. Die hatte sie ganz vergessen in der Innenwelt …Wo noch vor ein paar Monaten eine je nach Wetterlage strahlend blaue oder stahlgraue Bucht gelegen hatte, mit Schiffen und Schwärmen von Möwen, war nun eine zähe, träge vor sich hin schwappende todbringende schwarze Masse. Wie vielen Tieren hatte diese Ölpest das Leben gekostet, wie viele Menschen verloren dadurch die Sicherheit, die Gesundheit oder den Job?
Schockiert und schweigend starrte sie auf das ölbedeckte Meer, während der Bus sie in die Stadt brachte. Sie wünschte sich, weit weg zu sein. Wenn es
das
war, was Fiona ihr hatte zeigen wollen, dann hatte Keelin schon jetzt genug gesehen!
Der Bus erreichte schließlich den Hafen, wo die beiden Druidinnen ausstiegen. Gemeinsam gingen sie zu dem nächstbesten Becken, wo Keelin betroffen die Kaimauer hinab auf den schwarzen Ölschlick starrte, der träge den Wellenbewegungen des Wassers darunter folgte. Hier und da ragten schwarze Vogelkadaver daraus empor. Die Luft roch nach Öl, Fisch und Fäulnis. Die beiden Frauen schwiegen, während sie das Unheil auf sich wirken ließen.
»Ich hab’ das schon gesehen«, meinte Keelin schließlich. »Deswegen hättest du mich wirklich nicht hierherbringen müssen …«
»Aber verstehst du auch, was damit zusammenhängt? Dies hier ist ein Verbrechen der Schatten.« Mit Hohn in der Stimme fuhr Fiona fort: »Es ist geradezu ein
Meisterwerk
! Hut ab vor ihnen!« Sie spuckte in das Hafenbecken. »Bestimmt werden die Urheber dieses Verbrechens befördert oder sonst wie für ihre großen Taten belohnt.« Sie wandte sich an Keelin. »Verstehst du nun, warum wir Druiden uns nicht in der Innenwelt verstecken dürfen? Weil es die Schatten auch nicht tun. Sie infiltrieren die Außenwelt und versuchen, sie zu verseuchen und zu beschmutzen. Eine Umweltkatastrophe wie diese hier reicht aus, dass in der Innenwelt die Ostküste bald verschwunden sein wird.«
»Verschwunden? Wohin?«
»In die Schattennebel natürlich. Die Ostküste versinkt in den Nebeln, und in einem Jahr oder vielleicht auch in zehn taucht sie wieder auf, beherrscht von Schatten und bevölkert von verdorbenenGeistern. Mit dem Loch Ness im Süden und einer verfluchten Küste im Osten werden die Highlands nicht lange überleben können.«
»Aber ich dachte, die Schatten sind nur in den Städten stark!«
»In den Städten und im Loch Ness. Aber der Frühling kommt, und die Renegaten behaupten, dass das die Zeit ist, in der sich die Schatten vermehren. Normalerweise brechen dann blutige Kriege zwischen ihren Schwärmen aus, aber wenn sie an der Küste ein neues Teufelsloch finden, werden sie sich ausbreiten. Dann mögen die Götter Gnade mit uns haben!«
»Also wird es Krieg geben.«
»Krieg? Wir haben ständig Krieg. Glen Affric liegt zu nahe an Loch Ness. Denk an den Adler.« Fiona seufzte. »Ich weiß, was du gemeint hast. Und du hast natürlich recht. Die kleinen Scharmützel, die wir uns momentan mit den Nain liefern, werden zu großen Schlachten werden. Wenn uns nichts gegen diese verfluchte Ölpest hier einfällt, werden wir angreifen und die Ostküste unter genaueste Beobachtung stellen müssen.«
»Sind wir stark genug, sie anzugreifen?«,
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