Schattenkrieg
langsam in den Flur und sah sie erschrocken an. »Keelin«, flüsterte sie. »Keelin, bist du es?«
Soviel zum Thema unerkannt bleiben
, dachte Keelin mit sinkendem Mut. »Ich –«
»Nein.« Fiona schnitt ihr das Wort ab. »Das ist nicht Keelin.«
Shonas Blick nahm einen abwesenden Ausdruck an. »Das ist nicht Keelin«, wiederholte sie leise.
»Wir sind hier nicht eingebrochen«, erklärte Fiona entgegen den augenscheinlichen Tatsachen.
»Ihr seid hier nicht eingebrochen«, murmelte Shona.
Keelin blickte misstrauisch über ihre Schulter. Fiona hatte das Mädchen mit ihren Augen fixiert, ihre Augen hatten beinahe etwas …
Hypnotisches
. »Es ist alles in Ordnung.«
»Es ist alles in Ordnung.«
Fiona entspannte sich, und plötzlich waren ihre Augen wieder normal. Sie ging auf das Mädchen zu. »Ich bin Alice«, log sie, »und das ist mein Sohn Bruce. Wir wollten wissen, was mit Mary geschehen ist.«
Shona nickte verwirrt und führte sie in die Küche »Möchten Sie Kaffee?«, fragte sie.
Keelin lehnte dankend ab, doch Fiona bejahte lächelnd. Während Shona die Kaffeemaschine auffüllte, murmelte Keelin leise: »Was hast du mit ihr gemacht?«
»Gar nicht schlecht, der Trick, was? Druiden mit sozialen Zeichen wie Linde oder Apfelbaum beherrschen diese Kraft so gut, dass du als Außenstehender nicht einmal etwas davon bemerkst. Sei vorsichtig: Diese Kraft wirkt auch auf Druiden.«
Keelin nickte, während sie Shona beobachtete.
Die Hände ihrer ehemaligen Mitbewohnerin zitterten. Ihre langen goldblonden Haare waren ungepflegt und strähnig. Sie war unglaublich blass, die Augenringe waren dunkler, als sie sie in Erinnerung hatte. Die zahllosen Schnitte auf ihren Handrücken und Unterarmen machten Keelin klar, dass Shona wieder in ihre Depressionen zurückgefallen war. Sie weinte, als sie davon erzählte, wie sie Mary gefunden hatte. Jemand hatte in jener Nacht die Türeingetreten und Mary in ihrem Schlafzimmer abgestochen. »Keelin ist seitdem verschwunden«, erzählte Shona stockend und mit einem kurzen, unsicheren Seitenblick zu ihr hin, »die Polizei glaubt, dass man sie umgebracht hat, aber das glaube ich nicht … Er hat sie wahrscheinlich mitgenommen …«
Fiona nickte langsam. »Das Zimmer dieser Keelin … dürften wir vielleicht einen Blick hineinwerfen?«
»Da gibt’s nicht viel zu sehen«, meinte Shona. »Vor zwei Tagen waren …
Leute
hier …« Ihre Stimme begann zu zittern. »Sie haben es ausgeräumt.«
»Leute? Von der Hausverwaltung?«
»Nein … Sie … sie …« Weiter kam sie nicht. Erneut stiegen Tränen in ihre Augen. Ihre Schultern begannen zu zucken, als es ihr nur halb gelang, ein Schluchzen zu unterdrücken.
Fiona stand auf und trat zu Shona. »Was ist passiert, Kleines?«, fragte sie leise, mit sanfter Stimme.
Shona versuchte, sich zusammenzureißen, versuchte zu antworten. »Sie haben …«, stammelte sie, schlug dann die Hände vor das Gesicht und lief schluchzend aus dem Zimmer. Kurz darauf hörten sie eine Tür zuschlagen.
Völlig überrascht warf Fiona Keelin einen fragenden Blick zu. Diese zuckte mit den Schultern. »Sie ist Borderline«, erklärte sie.
»Das gerade war keine Psychose«, erwiderte Fiona entschlossen. »Da ist was passiert.« Sie stand auf und ging Shona hinterher. Keelin nutzte die Gelegenheit, um sich eine Zigarette anzuzünden, und folgte ihr dann.
Schon auf dem Flur hörte sie Shona weinen. Die Tür zu ihrem Zimmer stand einen Spalt weit offen. Keelin lugte hindurch und war erschrocken über das Chaos, das darin herrschte. Sie kannte Shona als einen geradezu zwanghaft ordentlichen Menschen, und dies passte nun wirklich überhaupt nicht zu ihr. Alle Schränke standen offen und waren leer, ihr Inhalt an Kleidern lag wahllos auf dem Fußboden zerstreut, zusammen mit ihren Büchern und dem ganzen Krimskrams, mit dem Shona ihr Zimmer geschmückthatte. Poster waren von den Wänden gerissen, ihr Schreibtisch war leergefegt. Shona selbst saß auf der Bettkante und hatte nun völlig die Kontrolle verloren, sie heulte und jammerte und hatte ihr Gesicht an Fionas Schulter vergraben, die sie im Arm hielt. Die Druidin strich ihr sanft über die Haare und murmelte leise. Plötzlich erinnerte sich Keelin wieder an Halloween und die Nacht im Glen Affric und daran, dass Fiona damals genau das Gleiche mit ihr selbst erlebt hatte. Sie schluckte. Wie viel Elend die Kundschafterin wohl schon zu sehen bekommen hatte?
Es dauerte eine lange Zeit, bis sich Shona wieder
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