Schattenkrieg
arbeiteten: Verkäuferinnen für die vielen Supermärkte und Läden, Fabrikarbeiter unterwegs zu ihren Zwölfstundenschichten, Arbeitslose auf der verzweifelten Suche nach neuen Jobs.
Keelin fragte sich, ob
ihre
Stelle im Raigmore wieder besetzt worden war. Vermutlich nicht – die Einstellungspolitik in den öffentlichen Betrieben wurde von Jahr zu Jahr schlechter.
Der Gedanke daran trieb sie immer noch in Rage – auf der einen Seite verloren wirklich gute Leute ihre Jobs aus Gründen der sogenannten Rationalisierung, nur damit die Schlechtesten und Faulsten weiter auf ihren Sesseln hinter ihren Schreibtischen kleben bleiben konnten. Das System
konnte
so nicht funktionieren, aber das störte die Manager in ihren Chefetagen nicht weiter – notfalls entließ man ein paar weitere Krankenschwestern und Krankengymnasten.
Keelin fragte sich plötzlich, ob das nicht auch das Werk der Schatten war – trieb man nicht so die Leute in Armut und Verzweiflung? Und wie verzweifelt musste man sein, um den Geschichten eines Schattens zu glauben, der Rekruten für das Schwarze Ritual suchte? Wie schnell konnte man in ihre Fänge geraten und zum Fomorer werden?
Sie hatte bisher noch nie darüber nachgedacht. Bisher hatte sie geglaubt, dass ein Fomorer im Grunde ein bösartiger Mensch sein musste. Aber war das wirklich wahr? Oder führten die Schatten ihren Krieg gegen die Stämme etwa mit Leuten, die einfach nur das Pech gehabt hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein? Bisher hatte Keelin immer daran geglaubt, der Konflikt zwischen den Schatten und Druiden hätte etwas Gerechtes an sich, etwas von einem Kampf zwischen Schwarz und Weiß, Dunkelheit und Licht – doch je länger sie darüber nachdachte, desto grauer wurden die Farben. Sicherlich, die Schatten warenschwarz, schwarz wie die Nacht, und die Druiden konnte man vermutlich auch annähernd als weiß bezeichnen, doch es schien, dass schon mit den Fomorern die Grenze unscharf wurde …
Keelin erinnerte sich an eine Situation vor zwei Wochen zurück, als Rowena Streitigkeiten unter ihren Gefolgsleuten geschlichtet hatte. Der ursprüngliche Streit hatte sich um eine Kleinigkeit gehandelt – ein Kind hatte ein Schmuckstück eines anderen Kindes gestohlen. Doch dann waren verletzte Eitelkeiten und gekränkte Ehre hinzugekommen, und schon war ein Problem daraus geworden, das von der Druidin als Richterin gelöst werden musste. Keelin hatte erkannt, dass die Menschen der Innenwelt nicht besser und nicht schlechter waren als der durchschnittliche Bewohner der Außenwelt – der ja wiederum durch Pech allein zu einem Fomorer werden konnte. Somit bestand der Krieg zwischen den Stämmen und den Fomorern im Grunde nur aus einem Krieg zwischen den Druiden und den Schatten, der jedoch auf den Schultern der einfachen Bevölkerung ausgetragen wurde – wie jeder weltliche Krieg auch. Hätte man Hitler in einen Ring mit Stalin und Churchill und Roosevelt gesteckt, hätte man den Zweiten Weltkrieg (oder den Letzten Germanenkrieg, wenn man es aus Sicht der Innenwelt betrachtete) vielleicht verhindern können. Würde man die Druiden direkt auf die Schatten losjagen, könnten die Bewohner der Innenwelt vermutlich ein friedliches Dasein nebeneinander fristen.
Kann das sein? Bin ich als Druidin mit für das Sterben dieser Menschen verantwortlich?
»Übrigens habe ich noch eine Neuigkeit für dich, Keelin«, erklärte Fiona und riss sie aus ihren Gedanken. »Wenn du willst, machst du in drei Tagen Urlaub in Norwegen!«
»Norwegen? Warum das denn?«
»Du weißt, dass in Skandinavien Kelten leben?«
»Ja.« Nachdem die Germanen vernichtet worden waren, waren Kelten aller Stämme in die frei gewordenen Gebiete gezogen – unter anderem auch nach Skandinavien, soweit dies nicht von den Slawen beansprucht worden war.
»Norwegen ist in vier Bezirke aufgeteilt, die von Fürstenräten regiert werden. Im Gebiet von Trondheim leben sehr viele Schotten, weshalb wir immer einen Beobachter aus dem Glen zu den Ratsversammlungen schicken. Junge Druiden sollten sich dort mindestens einmal blicken lassen.« Als Keelin nicht darauf antwortete, fügte Fiona hinzu: »Ich glaube, der Tapetenwechsel würde dir guttun.«
»Wer ist dieser Beobachter?«
»Das wechselt. Dieses Mal sind wir Mackenzies dran, also wirst du mit Häuptling Grear und Brynndrech geschickt.«
Grear Mackenzie kannte Keelin bereits, doch der zweite Name war ihr völlig unbekannt. Er klang walisisch. »Wer ist
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