Schattenkrieg
zurück, im Arm Langhaarschneider und Rasierapparat. Er setzte sich neben sie. »Okay, Keelin, letzte Chance: Willst du
wirklich
eine Glatze?«
Sie warf ihm einen bösen Blick zu.
»Ja, sie
will
eine Glatze.« Er verdrehte die Augen und machte sich an die Arbeit.
Während ihre Haare fielen, hatte Keelin das Gefühl, dass die letzten Brücken zu ihrer Vergangenheit fielen. Marwins Reaktion auf ihren Wunsch hatte ihr deutlich genug klar gemacht, dass eineGlatze an einer Frau ein eklatanter Bruch mit den Gepflogenheiten der Außenwelt war. Doch was kümmerte sie die Außenwelt? Was kümmerte sie die Meinung, die die Außenweltler über sie haben könnten? Oder überhaupt irgendwer?
In diesem Moment spürte Keelin die Einsamkeit besonders stark. Die Einsamkeit, die sie nie ganz verloren hatte, seitdem sie ihren Bruder hasste.
Während Marwin noch arbeitete, kam Rock durch die Tür. Rock war Marwins Freund und der zweite Wirt der Lodge. Er war groß und breitschultrig, mit einem freundlichen Gesicht und dunklen, kurzen Haaren. Als er sie sah, blieb er erschrocken stehen und klappte den Mund auf. »Marwin, was tust du da?«, fragte er verdattert.
»Sie hat mir die Pistole auf die Brust gesetzt«, antwortete Marwin zerknirscht.
»Ihr seid ja wahnsinnig, alle beide!«
Rock griff nach einem Stuhl und setzte sich umgekehrt darauf. Mit skeptischer Miene beobachtete er sie, bis Marwin schließlich den Rasierapparat ausgeschaltet und zur Seite gelegt hatte. Dann begannen seine Augen plötzlich zu leuchten. »Erinnerst du dich an diesen Typen, diesen James Was-weiß-ich, von Silvester?«
Marwin zögerte. »Ich weiß nicht …« Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Natürlich, klar, ich weiß, wen du meinst, diesen jungen Hüpfer in dieser Army-Hose und …« Sein Kopf drehte sich ruckartig zu Keelin. Gemeinsam sagten die beiden Männer: »… der Glatze!«
Keelin verstand nur Bahnhof. Hatten die beiden nicht gerade von einem
James
gesprochen? Von einem Mann? Sie fragte danach, doch die beiden ignorierten sie. Stattdessen trugen sie eine Reihe von Kleidungsstücken heran und ließen sie sie anprobieren. Widerwillig gehorchte Keelin und musste feststellen, dass es sich ausschließlich um Männerklamotten handelte. Erst, als die beiden mit ihrem neuen Erscheinungsbild zufrieden waren, erlaubten sie ihr, sich vor den Spiegel zu stellen.
Was sie dort sah, ließ sie an ihren Augen zweifeln. Sie erkannte sich selbst kaum wieder. Ihre Beine steckten in einer olivgrünen Army-Hose, die von einem breiten Gürtel mit schwerer Schnalle festgehalten wurde. Die Hose war zu groß und hing für ihre Begriffe viel zu tief, so dass die Shorts etwa drei Zentimeter über den Gürtel hervorlugten. Darüber trug sie einen schwarzen Kapuzenpulli. Ihre Beine steckten in klobigen Springerstiefeln. Um den Hals trug sie eine klobige silberne Kette, an der ein noch klobigerer, schwerer Anhänger in Form eines Ankhs baumelte. Die Kette fühlte sich schwer genug an, um sie, um die Hand gewickelt, als Hiebwaffe zu benutzen.
»Ich könnte mich glatt in sie verlieben«, meinte Rock grinsend und handelte sich von Marwin einen Ellbogenstoß in die Rippen ein. »Aber da fehlt noch was!« Er verließ den Raum und kam mit einem Paar Wollsocken in der Hand wieder zurück. »Steck dir das mal in die Unterhose.«
Keelin sah, wie Marwin die Augen verdrehte. »Worauf du gleich wieder achtest«, murmelte er empört.
Nachdem die Socken an Ort und Stelle waren, befahl ihr Rock, sich einmal herumzudrehen. »Beinahe perfekt«, meinte er schließlich. »Der BH zeichnet sich unter dem Shirt ab. Wenn du auf ihn verzichten kannst, gehst du glatt als Junge durch.«
»Ihr habt doch einen Knall«, gab sie zurück. »Ihr wolltet mich in einen
Kerl
verwandeln?«
»Die Chefin hat gesagt, man soll dich nicht wieder erkennen«, meinte Rock. »Na, ich finde, das haben wir dufte hingekriegt!« Er lehnte sich grinsend auf seinem Stuhl zurück und legte einen Arm um Marwin. »Jetzt verzeihe ich ihm sogar, dass er dir die Haare abrasiert hat.«
Kopfschüttelnd stand Keelin auf und ging nach draußen zu Fiona. Sie hatte es wohl herausgefordert. Doch zumindest würde sie
so
bestimmt keine Männerblicke auf sich ziehen – abgesehen von
schwulen
Männern.
Im Licht der Dämmerung fuhr Rock die beiden Druidinnen nach Cannich, wo sie den Bus nach Inverness nahmen. Unterwegs beobachteten sie, wie er sich nach und nach mit Leuten füllte, die in der Stadt
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