Schattenkrieg
nahm sie noch einmal in den Arm, löste sich dann und ging in Richtung des Zimmerausgangs. Keelin stand auf und wollte ihr folgen, doch da hörte sie Shona hinter sich sagen: »Ich weiß noch etwas.«
Keelin wandte sich um, den Schreibblock noch immer in der Hand. »Ja?«
»Ich kenne einen der Namen – das hätte ich beinahe vergessen!«
Keelin zog die Augenbrauen nach oben. Ein Name wäre
perfekt
, falls Fiona tatsächlich vorhatte, Jagd auf diese Schweine zu machen.
»Ich hätte die drei eigentlich gar nicht hereingelassen, aber einerhat gesagt, dass er Keelins Bruder ist. Winters hieß er, Keith Winters. Er hat mir seinen Ausweis gezeigt.«
Keelin spürte, wie Übelkeit in ihr aufstieg. Angstschweiß brach aus ihren Poren. Keith war hier, hier in dieser Stadt! Er suchte nach ihr! Wie in Trance wandte sie sich um, trat auf den Gang, ignorierte Fiona, die »Keelin, warte!« murmelte, und hastete über den Flur zur Wohnungstür. Panische Angst befiel sie. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte sie die Treppe hinab und hinaus auf die Straße.
Sie musste weg von diesem Ort. So schnell wie möglich.
VERONIKA
Gnjilane, Kosovo
Samstag, 12. Dezember 1998
Die Außenwelt
Die Operation lag nun eine Woche hinter ihr, und Veronika wartete darauf, abgeholt zu werden. Sie konnte endlich zu ihrer Truppe zurückkehren. Sie hatte das Angebot der Bundeswehrärzte abgelehnt, die sie wegen ihres Blutverlusts noch behalten wollten. Der Bataillonskommandant Major Fleischer, der sie sogar nach Hause geschickt hätte, war ebenfalls erfolglos. Veronika wollte zurück nach Gnjilane.
Seit dem letzten Gespräch mit Fatima brannte eine unsägliche Wut in ihr, eine Wut auf das Militär im Allgemeinen und auf die Männer ihres Kommandos im Besonderen. Es war einfach unfassbar. Sie riss sich die Beine aus für ihre Einheit, schlug sich ihre Nächte mit Aktenbergen um die Ohren, organisierte einen Dolmetscher und tat alles dafür, um die Situation zu verbessern, und was machte ihr Zug? Er trat all ihre Bemühungen in den Staub. Ha, und sie hatte sich gewundert, woher dieser Hass kam, den die Bevölkerung gegen die Bundeswehr hegte!
Veronika war fest entschlossen, das wieder in Ordnung zu bringen. In den Tagen im Lazarett hatte sie Zeit gehabt, sich einen Plan auszudenken. O ja, sie hatte einen
Plan
! Ihre Soldaten würden ihn nicht mögen. Doch wenn sie es geschickt anstellte, würden sie ihr folgen. Im Moment hielt sie eine Position der Stärke. Die Männer hatten sie gesehen, blutüberströmt und siegreich. Wassermann hatte sicherlich von dem Kampf erzählt. Für ein paar Tage würde die Erinnerung daran in den Köpfen ihrer Männer spuken, für ein paar Tage würde sie nicht der kleine blonde Gartenzwergsein, sondern die Frau, die Wassermann das Leben gerettet und einen zwei Köpfe größeren UÇK-Anführer niedergestochen hatte, und diese Zeit musste sie ausnutzen. Deshalb hatte sie auch Major Fleischers Angebot ausgeschlagen. Wenn sie für weitere zwei, drei Wochen in einem Hospital verschwinden würde, würde diese Gelegenheit verstreichen. Vielleicht würde sie keine weitere bekommen. Sie hoffte, dass sie nicht schon zu viel Zeit im Lazarett verloren hatte.
Sie fragte sich, wie Ulrich auf das alles reagieren würde. Er war vermutlich der Mann, der die ganze Sache ausgelöst hatte. Der Befehl, in ihrer Abwesenheit das Dorf zu plündern, musste von ihm gekommen sein. Veronika erinnerte sich noch
zu
deutlich an den Streit, den sie in der fraglichen Nacht mit ihm gehabt hatte – und auch daran, wie entspannt er plötzlich gewesen war, als sie nach der Operation wieder aus dem Haus getreten war. Ob auch er nun beeindruckt war von ihr? Oder prallte ihr Erfolg an ihm ebenso ab wie alles andere?
Darüber grübelte sie nach an diesem sonnigen Frühlingstag, als sie auf der Treppe zum Bataillonshauptquartier in Priština saß, den linken Arm in einer olivgrünen Schlinge, und das Kommen und Gehen der Soldaten beobachtete. Neben der Treppe standen sieben Fallschirmjäger ihres Zuges – Männer, denen sie im Lazarett begegnet war. Der leitende Arzt dort hatte sich zuerst quergestellt, aber nach einem kurzen, sehr heftigen Streit schnell nachgegeben und die Männer diensttauglich geschrieben. Die Soldaten sahen nicht glücklich aus, doch sie hatten die Diskussion mit angehört und schienen nicht darauf erpicht zu sein, sich bei der momentanen Großwetterlage mit ihrer Zugführerin anzulegen.
Veronika beobachtete eine
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