Schattenkrieg
noch einen zweiten Schlag, wirbelte herum und rannte davon. Er hatte längst eingesehen, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Vielleicht gelang es ihm, wenigstens sein Leben zu retten. Jemand musste die Stämme warnen.
Die Nacht war nicht heller geworden. Ronan stolperte hastig durch den Regen den Hang hinauf, in der Hoffnung, die Straße zu erreichen, wo er schneller rennen konnte. Seine Beine verfingen sich in Ästen und glitten über nasse Felsen, mehrmals ging er zu Boden, rappelte sich jedes Mal wieder hastig auf.
Dann hörte er das, was er niemals auch nur zu hoffen gewagt hätte. Mitten in der Nacht, in der Einsamkeit des norwegischen Fjordenlandes hörte er Motorengeräusch.
Er war noch im Wald, als vor ihm auf der Straße ein Auto vorüberfuhrund plötzlich mit quietschenden Reifen zum Stehen kam. Eine Gestalt huschte kurz durch das Scheinwerferlicht, bevor sie auf der Beifahrerseite einstieg. Der Motor dröhnte auf, als der Fahrer Gas gab.
Ronan stürmte winkend vor das Auto. Der Fahrer stieg erneut auf die Bremse. Die Beifahrertür sprang auf, eine Frauenstimme rief: »Beeil dich!« Er benötigte die Aufforderung nicht. Hastig öffnete er die Tür zum Rücksitz und stieg ein. Der Fahrer gab Vollgas.
»Wo ist Marco?«, fragte der Fahrer, während Ronan nervös durch die Heckscheibe nach dem Monster Ausschau hielt.
»Tot«, gab die Beifahrerin zurück.
»Tot?«
Der Fahrer war entsetzt.
»Ja, tot. Getötet von … etwas.«
»Etwas? Was meinst du mit
etwas
?«
»Ich habe nicht die
leiseste
Ahnung. Vielleicht weiß unser Freund auf dem Rücksitz mehr.«
Ronan atmete scharf ein. Jetzt endlich konnte er die Stimme der Frau einordnen. Es war dieselbe Stimme, die ihn vorher bedroht hatte. Wie hatte sie den Angriff überleben können? Hastig griff er nach
Steinbeißer
.
»Keine Angst«, murmelte sie, plötzlich erschöpft klingend. »Ich bin kein Feind. Ich will nur wissen, was das war.«
Den Dolch bereithaltend, erklärte er: »Ein Phantom.«
»Ein Phantom?«, fragte der Fahrer. »Was soll das sein?«
»Ein böser Geist.«
Die Frau fragte: »Und du bist ein Gegner böser Geister?«
»Ha!
Natürlich!
Wer seid
ihr
, wenn ihr das nicht wisst?«
»Wir sind –«, begann der Fahrer mit einer Antwort, doch die Frau schnitt ihn ab: »Wir arbeiten für eine dritte Partei. Erzähl uns mehr über dieses Phantom.«
»Ich weiß nicht viel über Phantome. Sie sind Geister, die von den Schatten verdorben oder dazu verführt wurden, ihnen zu dienen.«
»Was sind Schatten?«, fragte der Fahrer.
»Erzähl weiter«, überging ihn die Beifahrerin.
»Sie können alle Erscheinungsformen annehmen, die auch Naturgeister annehmen können. Nur die wenigsten können sich hier in dieser Welt manifestieren.« Ronan hatte noch
nie
von einem Phantom gehört, dass in seiner manifesten Form eine solche
Macht
besessen hatte. Es bestand kein Zweifel, dass es sich um das Phantom handelte, das die letzten Monate vor der Küste sein Unwesen getrieben hatte. Wie es an dem Wächterling vorbei in den Fjord gelangt war, wussten allein die Götter.
»Und ihr kämpft gegen sie?«
»Wenn wir eine Chance auf einen Sieg haben, ja.«
Ansonsten laufen wir weg …
»Verstehe.«
In das aufkommende Schweigen hinein kommentierte der Fahrer: »Du blutest.«
»Ich weiß.« Die Frau zog eine Packung Taschentücher aus dem Armaturenbrett und wischte sich damit das Gesicht ab.
»Und wie tötet man ein solches Phantom?«, fragte sie schließlich.
»Es gibt mehrere Möglichkeiten. Gewöhnliche Waffen können ein Phantom für drei Monde lang bannen, magische Waffen für ein ganzes Jahr. Ein Exorzismus über ein totes Phantom gesprochen kann es vernichten, ebenso direkte, starke Magie.«
»Und beherrscht du solche Magie?«
Ronan überlegte kurz, ob er die Frage beantworten sollte. »Nein. Dieses Wissen ist den Zauberern vorbehalten.« Häuptling Nerin hatte schon mehrmals Phantome exorziert.
»Wo sollen wir dich rauslassen?«, fragte die Frau.
»Åndalsnes.« Von dort konnte er Søren im Sicheren Haus anrufen und sich abholen lassen.
»Alles klar.«
Sie schwiegen wieder, und Ronan dachte zurück an Nerin und das Phantom.
Er hatte keine Zweifel, dass der Häuptling den Geist austreiben konnte. Doch dafür musste es tot sein. Er hatte keine Ahnung, wie sie
das
bewerkstelligen sollten.
DERRIEN
Festung Trollstigen nahe dem Romsdalsfjord, Norwegen
Freitag, 15. Januar 1999
Die Innenwelt
Das Tor zerbarst mit einer lauten
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