Schattenkrieg
einfacher verteidigen zu können, gab es keine Verbindung. Wenn es ihnen nicht gelang, den Wehrgang einzunehmen, saßen sie hier in der Falle.
Hinter ihnen donnerte eine Ramme gegen die Tür. »Beeilt euch!«, brüllte Nerin. »Wir haben hier nicht den ganzen Tag Zeit, um auf euch zu warten!«
»Los, kommt, Beeilung!«, raunte Derrien den wartenden Männern zu. »Sobald wir draußen sind, macht ihr, dass ihr in den Turm gelangt!«
Gefolgt von den Kriegern, stieg er die Treppe nach oben, wo Fragan bereits den Riegel zurückgezogen hatte. Mit gebeugten Knien und Rücken stemmte er sich gegen die Falltür. Derrien postierte sich neben ihm.
»Bist du bereit?«, fragte Fragan.
Derrien nickte müde. Er fragte sich, ob sie eine Chance hatten, wenn über ihnen Männer auf der Tür standen.
»Dann bei drei. Eins … zwei … DREI!«
Jeder Muskel in Derriens Körper spannte sich, als er sich ruckartig gegen die Falltür warf. Schmerzen schossen durch seinen Rücken, als er den Widerstand spürte, jedoch nur kurz. Dann war die Falltür offen.
Nach der Dunkelheit in der Halle war das Tageslicht beinahe grell. Derrien sprang Fragan hinterher nach draußen. Mehrere Fomorerkrieger hatten sich auf dem Wehrgang versammelt, die Schilde nach Osten gerichtet, wo sie von Bogenschützen aus dem Ostturm beschossen wurden. Sie deckten eine Gruppe von Männern, die eine kleine Ramme zum Eingang des Glockenturms brachten.
Die beiden Druiden fuhren unter sie wie Wölfe in eine Schafsherde. Die Fomorer hatten nicht mit einem Angriff gerechnet, schon gar nicht von unten. Derrien erschlug drei von ihnen, bevor der Erste auch nur zu einer Verteidigung ansetzte, nahm einen ihrer Schilde und drängte den Rest von ihnen zurück. Der Eingang sprang plötzlich auf, und Ronan stürmte hervor. Zwischen den beiden Brüdern hatten die Fomorer keine Chance. Die Letzten wagten lieber den Sprung in die Tiefe, statt die Klingen mit
Waldsegen
oder
Wasserklinge
zu kreuzen.
»Du lebst!«, rief Ronan, über beide Ohren strahlend.
»Mit mehr Glück als Verstand!«, gab Derrien zurück.
Im nächsten Moment strauchelte sein Bruder plötzlich. Ein schwarzer Pfeil ragte aus einem Spalt seiner Plattenrüstung. Derrien starrte ihn fassungslos an, während Ronan mit einem leisen Stöhnen zu Boden ging.
Es konnte nicht sein! Das Schicksal konnte nicht so grausam sein! Derrien ging neben ihm in die Knie. »Du darfst jetzt nicht sterben!«, schrie er Ronan an. »Nein!«
Der plötzliche Tod des Bruders fühlte sich so …
falsch
an. So
unwirklich
. Etwas
stimmte
nicht! Plötzlich hatte er das Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben, ein Déjà-vu, in das Ronans Tod nicht hineinpassen mochte.
»Derrien, Herr, wacht auf!« Eine Stimme aus dem Nichts. Verwirrtsah er sich um. »Wacht auf!«, rief die Stimme noch einmal. »Euer Bruder ist angekommen!«
Derrien schlug die Augen auf. Er befand sich in einem dunklen Lager. Im Türrahmen waren vor dem grellen Tageslicht die Umrisse eines Mannes zu erkennen. Es roch nach vergammeltem Stroh und altem Schweiß. Entfernt konnte er einige Stimmen hören.
»Mein Bruder …?«, fragte er. »Was ist mit ihm … und Nerin … und Fragan …«
»Fürst Ronan ist sofort losgeritten, als ihn der Bote erreicht hat, Herr. Häuptling Nerin ist noch in Kêr Bagbeg. Wen meint Ihr mit Fragan?«
Kein Geschrei … keine sirrenden Pfeile … keine klirrenden Schwerter … kein Rauch in der Luft, kein Blutgeschmack im Mund …
Er hatte geträumt. Seine Rückkehr in die Festung musste alte Erinnerungen geweckt haben.
Langsam schüttelte er den Kopf. »Vergiss es.« Fragan war damals auf jenem Wehrgang gefallen. Einer der Nain war doch kein Fomorer, sondern ein Schatten gewesen, den der Krieger-Druide zu spät bemerkt hatte.
Er rappelte sich auf. Neben dem Lager waren Kleider und Ausrüstung für ihn bereitgelegt. Eilig schlüpfte Derrien in Hemd und Hosen und gürtete das Kurzschwert, bevor er nach draußen auf den Wehrgang trat.
»Derrien!«, rief jemand von unten. »Du lebst!«
Er sah in den Burghof. Ronan war gerade aus dem Stall getreten und hetzte nun zur Rampe.
»Du lebst!«, rief Ronan noch einmal, als sie sich in die Arme fielen.
Nach allem, was passiert war, fühlte es sich so verdammt
gut
an, seinen Bruder im Arm zu halten.
Ronan streckte ihn von sich und sah ihm erschrocken in die Augen. »Woher kommen all diese Narben?«
»Das ist eine lange Geschichte. Was ist mit dir? Du siehst selbst ziemlich erschöpft
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