Schattenkrieg
aufstehen und stellte fest, dass sein rechter Fuß unter dem Vordersitz eingeklemmt war.
Ein zweiter Schlag, noch heftiger als der erste. Ronans Schädel donnerte gegen den Fensterrahmen. Für einen Moment schien der Bus zu fliegen. Metall kreischte gequält, Menschen brüllten in Todesangst. Das Fahrzeug überschlug sich, einmal, zweimal, noch öfter. Ronan wurde aus seinem Sitz gehoben, der Fuß kam plötzlich frei, er schlug gegen die Decke, schlug gegen die Kopfstützen, schlug gegen den Fensterrahmen, wirbelte dann plötzlich durch die Luft und schlug hart gegen einen Baum, während der Bus weiter einen Hang hinabrollte.
Der Gestank war überwältigend.
Für ein paar Sekunden blieb Ronan benommen im Dreck liegen. Regen prasselte auf ihn herab und durchtränkte auch die letzten trockenen Stellen seiner Kleidung, die von der Welle verschont worden waren. Die Schmerzen ließen nur langsam nach, ein Zeichen dafür, wie übel es ihn erwischt hatte. Er konnte sich kaum vorstellen, dass jemand den Unfall überlebt hatte.
Doch es
hatten
Leute überlebt – aus dem Wrack des Busses drang ganz deutlich Angst- und Schmerzensgeschrei. Ronan fragte sich kurz, ob die Frau mit der Klinge unter ihnen war.
Vermutlich nicht. Sie war ein Schatten …
Der Gedanke daran gab ihm die nötige Kraft, sich aufzurappeln. Der Schmerz war fürchterlich. Seine Rippen fühlten sich noch immer gebrochen an. Sein rechter Knöchel brannte wie Feuer. Sein Kopf …
Lieber nicht dran denken …
Ronan wankte in die Deckung eines Felsens, wo er in die Knie ging und
Steinbeißer
aus seinem Stiefel zog.
Wenn ihm der Schatten nur noch ein paar Augenblicke geben würde, hätte er eine Chance. Vielleicht fanden sie ihn in all dem Regen nicht gleich …
Plötzlich gellte ein Schrei aus dem Bus, der ebenso plötzlich wieder verstummte. Ein Todesschrei. Ronan schloss die Augen, zählte langsam bis zehn, versuchte dabei, sein wild pochendes Herz aus seinem Bewusstsein zu blenden.
Nur keine Panik …
Dabei war ihm noch nicht einmal klar,
was
eigentlich geschehen war. Etwas hatte den Bus angegriffen, soviel stand fest, und zwar mit enormer Macht.
Sprengstoff?
wunderte er sich. Er hatte keine Explosion gehört … Und woher kam die Welle, die durch den Bus gespült war? Die Straße führte zwar am Fjord entlang, befand sich hier an dieser Stelle aber mindestens dreißig Meter über dem Meeresspiegel!
Ein Mann schrie in Panik. »Nein! Tu mir nichts!«, brüllte er. »Bitte! Geh weg! Geh weg!« Daraufhin mehr Geschrei, das ebenso abrupt verstummte wie zuvor.
Es half nichts, Ronan
musste
nachsehen. Er war ein Druide, und ein mächtiger dazu. Falls es die Schattenfrau war, die herumging und die Überlebenden tötete, musste er sie stellen. War es etwas anderes, war es seine Pflicht herauszufinden,
was
. Sein Körper war inzwischen geheilt. Es gab keine Entschuldigung mehr.
Bei allen Göttern …
Langsam trat er hinter dem Felsen hervor und arbeitete sich vorsichtig den Hang hinab, Augen und Ohren bis zum Äußersten angespannt, den Dolch so hart in der Faust, dass seine Knöchel schmerzten. Es goss noch immer in Strömen, die Sichtverhältnisse waren auch weiterhin miserabel; dennoch versuchte er, sich so lange wie möglich hinter der Deckung aus Bäumen und Felsen zu halten. Er hoffte inbrünstig, dass der fremde Schatten keine Kräfte besaß, die ihm halfen, in der Dunkelheit zu sehen.
Der Gestank nach faulem Seetang war inzwischen so intensiv, dass Ronan alle paar Schritte schlucken musste, um den Brechreiz zu unterdrücken. Was bei Arduina und Tarannis war das? Hatte die Flutwelle den Meeresboden aufgewühlt? Oder leitete hier eine Fabrik giftige Substanzen ein, hier, im direkten Einflussgebiet der Bretonen? Hatte Kongar geschlafen? Er war Landhüter,es war seine Verantwortung, solche Umweltverschmutzung aufzuhalten.
Ein großer, rechteckiger schwarzer Schemen schälte sich wenige Meter vor ihm aus dem Regenschleier. Es dauerte ein paar Momente, bis Ronan erkannte, dass es sich dabei um den Unterboden des Busses handelte. Das Fahrzeug lag auf der Seite. Die gequälten Stimmen der Insassen waren inzwischen vollständig verstummt. Was auch immer sie getötet hatte, war nun vermutlich hinter
ihm
her.
Ronans Magen verkrampfte sich. Er blieb kurz stehen und kämpfte den Drang nieder, sich hier und auf der Stelle zu übergeben. Mit der Linken zog er sich den Pullover über die Nase. Es machte es besser, ein wenig nur, aber immerhin. Mit der freien Hand
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