Schattenkrieg
Schultern.
Dann eben nicht.
Tatsächlich hatte der Schatten keinerlei Probleme damit, eigenständig den Weg zu seinem Treffpunkt mit Lord Ashkaruna zu finden. Er benutzte dieselben Schleichwege, die auch Mickey benutzt hätte, er meisterte auch die mit Müll vollgestopften, engen Seitengassen, und er war genau wie die Ratten in der Lage, ohne Scheinwerfer und Straßenlaternen seinen Weg zu finden.
Der Mann ist ein Schatten lord ,
rief sich Mickey ins Gedächtnis.
Er hat vermutlich schon seine Streifzüge durch die Bergener Straßen gemacht, als ich nur eine müde Samenzelle in Daddies Eiern gewesen bin …
Am
Heart’s Dancing Club
angekommen, stiegen sie aus. Der Türsteher – eine Ratte namens Westwood – erkannte Mickey und winkte sie durch. Es war noch früh, zu früh für die erste Vorstellung.Die weißen grellen Neonlichter brannten, die Musik war leise gedreht, und ein paar der Mädchen saßen in einer Gruppe am Tresen und tranken sich in Stimmung. Die Luft war noch gut genug, dass Mickey die Gerüche der einzelnen Personen unterscheiden konnte. Später, wenn Gäste da waren und Zigarettengeruch die Atmosphäre geschwängert hatte, würde er selbst in seiner Rattengestalt nur noch den beschissenen Tabak riechen. Mickey nickte Jackson an der Cognac-Bar zu, bevor er sich von seiner Nase zu der Sitznische in der hintersten Ecke des Raumes führen ließ.
Lord Ashkaruna saß mit dem Rücken zu der Zwischenwand, die seine Nische von der nächsten abtrennte. Die Sitzposition ermöglichte ihm keinen Blick auf den Raum oder die spätere Vorstellung, dafür war er von dort ebenfalls nicht zu sehen. Er besaß den Körper eines alten Mannes, sogar im Sitzen vornübergebeugt, das schneeweiße Haar unter der Kapuze seines Mantels verborgen. Der Rabe, dessen auffälligem Vogelgeruch Mickey gefolgt war, saß auf einer Stange, die extra für ihn auf dem Fensterbrett daneben aufgestellt war.
»Micky … Maus«
, krächzte das Tier zur Begrüßung.
Mickey warf ihm einen bösen Blick zu. Er wusste nicht, wo der Vogel die Worte herhatte, aber wenn er es einmal herausfand, würde er ein ernstes Wort mit dem Übeltäter zu sprechen haben.
»Du siehst aus«, sagte Ashkaruna in seinem so typischen afrikanischen Akzent, »als ob du meinem Raben am liebsten den Kopf abbeißen würdest, Mickey. Verzeih dem Vogel! Er ist nur ein dummes Tier, das nachplappert, was man ihm beibringt.«
»Ich würde lieber demjenigen den Kopf abbeißen, der ihm das beigebracht hat«, erwiderte Mickey unwirsch. »Falls du zufällig weißt –«
»Ich weiß es jetzt ebenso wenig wie das letzte Mal, als du mir diese Frage gestellt hast.«
Mickey schnaubte. »Zu trinken?«, fragte er dann, seinen Ärger über den Vogel verdrängend.
»Danke.«
»Einen Cognac«, meinte Rushai. »Einen doppelten.«
Mickey nickte und ging zurück zu Jackson, der wie die meisten Angestellten hier ebenfalls zum Clan gehörte. Die Ratte war gerade dabei, ein Bierglas mit einem Trockenleder auszuwischen. »Du siehst aus, als ob dir einer der Lords erzählt hätte, dass
wir
für den ganzen Schlamassel verantwortlich sind«, meinte er.
Mickey schüttelte den Kopf. »Haben sie nicht, kann aber noch kommen. Wundern würde mich das jedenfalls nicht. Nein, es ist nur wieder dieser Scheißrabe …«
Jackson nickte brummend. »Was möchten die beiden denn?«
»Der Alte nichts, der hat sein Wasser. Für Simon einen doppelten Cognac.«
»Oho! Da muss aber jemand seinen Frust ertränken!« Jackson drehte sich um und griff nach der Flasche.
»Wer könnte es nicht nachvollziehen …«, erwiderte Mickey und wartete auf den Cognac.
Jackson war früher ein großer Krieger gewesen, Anführer eines Rudels, das für seine Aggressivität und seine Erfolge unter Ratten wie Schatten berühmt und berüchtigt gewesen war.
Ihm
war es zu verdanken, dass sich die Kirche praktisch vollständig aus Bergen zurückgezogen hatte. Doch der Druidendolch eines Renegaten hatte Jacksons Karriere beendet. Die Klinge hatte seine Hauptschlagader verletzt; seitdem riskierte er bei jeder Anstrengung, dass sie platzte. Es war mit Jackson bergab gegangen, er trank zu viel aus seiner eigenen Bar und rauchte zu viel Shit. Wo sich andere in die Jahre gekommenen Ratten zu weisen Ältesten oder mächtigen Schamanen entwickelten, war Joe nur zu einem bedauernswerten Wrack geworden.
Schade eigentlich …
Mickey nahm das Cognacglas, griff für sich ein Bier ab und ging zurück zu den beiden
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