Schattenkrieg
doch das Brausen und Flüstern in ihrem Kopf nahm gleichfalls immer weiter zu, bis sie schließlich einzelne Stimmen unterscheiden konnte. Sie sprachen Gälisch, die gleiche Sprache wie die Männer vorhin in ihrem Traum. Keelin verstand die einzelnen Worte nicht, doch da war etwas Dringliches in ihnen, etwas, das sie zur Eile aufforderte.
Aber was sollte sie tun? Um Hilfe schreien und davonlaufen? Vor einem
Traum
? Wenn sie damit begann, ihre Träume für real zu halten, konnte sie sich doch gleich in die nächste Psychiatrie einweisen lassen!
Bleib logisch, Keelin. Denke darüber nach! Es gibt für alles eine Erklärung.
Der Traum hatte nach ihrem Besuch im Glen Affric begonnen. Das war logisch und völlig natürlich. Dass sie von einem altertümlichen Dorf träumte, war zwar komisch, aber nichts Besonderes. Es war Halloween, also hatte ihr Unterbewusstsein die Kürbisse in den Traum integriert.
So weit, so gut.
Und was war mit Fiona? Hatte die Frau nicht davon erzählt, dass sie verfolgt werden würde? Doch, das hatte sie, und ihre Warnung passte ziemlich gut auf Keelins Alpträume.
Na und? Fiona ist aus meinem Unterbewusstsein entstanden, genau wie meine Alpträume.
Keelin atmete erleichtert auf. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
Warum habe ich dann dermaßen viel Schiss?
Trotz der rationalen Erklärung wurde ihre Furcht größer, nicht kleiner. Es schien, als ob die Angst endlich einen Weg gefunden hätte, ihre Alpträume zu verlassen, um nun mit ungebändigter Kraft über sie herzufallen. Ihre Zähne begannen zu klappern, Schweiß trat auf ihre Stirn. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht abrupt aufzuschreien. Hastig lief sie in ihr Zimmer zurück und begann sich anzuziehen. Die Wohnung erschien plötzlich beklemmend und eng.
Während Keelin ihre Schuhe band, fiel ihr auf, dass das Flüstern der Stimmen endlich aufgehört hatte. Sie hielt inne und lauschte. Sie hörte das entfernte Geräusch von splitterndem Glas. Die absolute Stille, die darauf folgte, war noch beunruhigender als davor die Stimmen. Hastig zog sie die Schleifen ihrer Schnürsenkel fest und lief in den Gang.
Im selben Moment wurde die Tür zum Treppenhaus mit einem lauten, berstenden Knall in den Korridor geschleudert. Keelin warf sich mit einem Satz in die Küche. Nachdem sie die Tür so leise wie möglich geschlossen hatte, ließ sie sich dahinter gegen die Wand sinken. Angst pulsierte heiß durch ihre Adern. Sie presste die Kiefer fest aufeinander, um das Schluchzen zu unterdrücken. Tränen flossen lautlos über ihre Wangen.
Aus dem Gang drang ein metallisches Geräusch. Dann hörte sie Schritte. Eine Tür wurde geöffnet, dann rief eine helle Stimme etwas.
Marys Stimme
. Ein Schrei, dann plötzlich ein gurgelndes Husten, das abrupt endete.
Keelins Pulsschlag dröhnte in der erneuten Stille.
Die Schritte kamen näher. Sie glaubte etwas schnüffeln zu hören. Unfähig, sich zu rühren, kauerte sie sich zu Boden und wartete auf ihr Schicksal.
Und dann waren die Stimmen wieder da. Doch diesmal flüsterten sie nicht, sondern brüllten aus Hunderten von Kehlen. Keelin konnte kaum etwas verstehen, doch ein Wort, ein einziges, war in ihrer Sprache und deutlich herauszuhören:
Fenster!
Ihr Blick fiel auf das Küchenfenster, durch das der schwache Schein einer Straßenlaterne in die Küche drang und einen Lichtstreifen durch den Raum zeichnete. Sollte sie versuchen, sich auf dem Fenstersims zu verstecken? Aber der war so schmal, dass sie schon beim Gedanken daran Schwindel empfand.
Willst du lieber warten?
fragte sie sich selbst.
Sie rappelte sich auf und durchquerte die Küche. Hastig öffnete sie ein Fenster.
Ein kurzes, schabendes Geräusch war die einzige Warnung. Sie reagierte nicht rechtzeitig. Wie in Zeitlupe sah sie eine Tasse von der Fensterbank zu Boden stürzen. Mit schreckgeweiteten Augen verfolgte Keelin ihren Flug, unfähig, sich zu rühren. Der Augenblick wurde zu einer Ewigkeit …
Mit einem lauten Klirren zersprang die Tasse in tausend Stücke. Auf dem Gang polterten Schritte.
Spring! , befahlen die Stimmen.
»Nein!«, schluchzte Keelin, an den tiefen Sturz denkend.
SPRING!
Hinter ihr wurde die Tür aufgerissen. Keelin zuckte herum. Etwas … ein …
Ding
betrat die Küche. Es war kaum mehr als ein Schatten, ein Flecken Dunkelheit, der noch schwärzer war als derRest des Raumes, viel zu schmal für einen Menschen. Am oberen Ende sah sie Bewegung. Von dort drang ein schnüffelndes Geräusch aus der
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