Schattenkrieg
Siedlungen am Jostedal dabei gewesen, damals vor zehn Jahren, was den Krieg ausgelöst hatte. Auch an der Belagerung Trollstigens hatte er teilgenommen, aber bei der Feldschlacht am Jostedalsbreen hatte ihn niemand gesehen. Danach war er ein paar Mal aufgetaucht, hatte Derriens Waldläufer angegriffen oder war von diesen angegriffen worden, bis er schließlich komplett von der Bildfläche verschwand. Drei Jahre später hatte er angefangen, am Aurlandsfjord Fomorer anzusiedeln. Sogar ein hölzernes Kastell hatte er dort errichten lassen. Mit neuen, bisher ungekannten Schattenkräften hatte er den Wald verändert, bis schließlich jeder einzelne Baum eine Gefahr für die Waldläufer geworden war. Am Ende hatten Derriens Waldläufer die Bäumegerodet und das Kastell niedergebrannt, doch vorher war die Schlacht vom Schattenwald gewesen.
Jene Schlacht war Derrien nur allzu gut in Erinnerung geblieben, denn in ihr waren seine Waldläufer beinahe aufgerieben worden. Und
eigentlich
war damals auch Lord Rushai gefallen. Evan MacNevin war es gewesen, der ihm im letzten Kampf gegenübergestanden hatte, er hatte ihm davon berichtet, dass er Rushai im brennenden Turm mit einem Schwertstreich durch den Kopf erledigt hatte.
Nun schien es jedoch, dass der Schwertstreich durch den Kopf nur ein Schwertstreich durch das Gesicht gewesen war, der den Lord zwar sein Auge, aber nicht sein Leben gekostet hatte. Offenbar war er trotz der Verwundung aus dem brennenden Kastell entkommen. Er war in der Zwischenzeit bestimmt
noch
gefährlicher geworden, auch einäugig.
Derriens Zorn war verflogen und der kalt lodernden Flamme seines Hasses gewichen. Das nächste Mal würde er den Bastard brennen sehen, das schwor er sich. »Darum werde ich mich selbst darum kümmern müssen«, murmelte er.
Grübelnd berechnete er seine Optionen. Zum einen konnte er zurück in die Außenwelt und sich mit einem Auto zum Jostedalsbreen fahren lassen. So wäre er schneller bei Quintus – doch bis er ihn fand, war er allein in der Innenwelt unterwegs, allein und zu Fuß. Begegnete er so Lord Rushai, würde das sein Ende bedeuten. Besser war es, mit seiner gesamten Stärke nach Süden zu ziehen. Dazu musste er zuerst zum Feldlager der Waldläufer gelangen, das momentan in einer Region aufgeschlagen war, in dem sich keine einzige Pforte befand …
»Wir werden morgen in aller Frühe aufbrechen«, beschloss er. »Wir werden es sehr eilig haben, macht euch auf einen harten Ritt gefasst.«
Die Männer nickten.
»Gut.« Derrien stellte den Teller auf den Boden und stand auf. »Ich gehe Calder holen.« Der Fährtensucher lag vermutlich auf der Felszinne und hielt Wache.
»Nehmt einen warmen Umhang mit, dort oben geht ein scharfer Wind«, empfahl ihm Clyde.
Er befolgte den Ratschlag, bevor er das Seil hinauf auf die Felsnadel kletterte. Oben fand er Calder, der flach auf dem Felsen kauerte und Ausschau hielt. Er trug eine Fellmütze, deren Riemen er wegen des Windes unter dem Kinn verknotet hatte, und war bis auf Kopf und Stiefel vollständig in seinen Großkilt eingewickelt. Derrien legte sich daneben und klopfte ihm auf die Schulter. Der Schotte nickte ihm wortlos zu. Gemeinsam starrten sie hinaus auf den Fjord.
Die Wolkendecke war inzwischen aufgebrochen, der Wind war tief unter ihnen über dem Meer offenbar weitaus weniger stark. Das Meer lag nahezu still unter ihnen, eine glatte schwarze Platte, auf der die vom Sternenlicht beschienenen Inseln des Romsdalsfjords verstreut waren. Sekken stach mit seinen Kürbislichtern deutlich daraus hervor. Jenseits davon ragten dunkel die Küstengebirge in den Nachthimmel. Die Gipfelfeuer bildeten einen Ring um den Fjord, der durch die Feuer auf der Insel Otrøy in der Fjordmündung vervollständigt wurde.
»Ihr wart lange fort, Herr«, meinte Calder schließlich. »Hat es Schwierigkeiten gegeben?«
»M-hm. Mein Häuptling hat mich erwartet.«
»Und?«
»Nichts. Ich hatte einfach nicht vorgehabt, ihm zu begegnen.«
»Hmm …« Calder wandte den Blick ab und starrte wortlos auf den Fjord.
Derrien folgte seinem Blick. Das Festfeuer auf Sekken brannte immer noch, er glaubte sogar, etwas von der Musik zu hören, wenn der Wind aus der richtigen Richtung wehte. Zum Glück wusste dort unten noch niemand von dem Unheil, das sich im Süden zusammenbraute, sonst wäre ihnen die Feierlaune schon längst vergangen …
»Alarix hat erzählt, dass er eine Nachricht für Euch hat«, meinte Calder nach einer Weile.
Für einen
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