Schattenkrieg
zweitens gab es ziemlich wilde Gerüchte über die Nachtstreifen in Inverness. Wenn nur die Hälfte davon zutraf … Und auch ihre wenigen Freundinnen konnten ihr nicht helfen – was sollten sie ausrichten gegen diese
Monster
mit ihren Schwertern?
Erschöpft schleppte sich Keelin durch ölverdreckte Gassen und Hinterhöfe in Richtung Hafenviertel. Sie hoffte, in der Menschenmenge der dortigen Bordelle und Spielhöllen ihre Verfolger endgültig abschütteln zu können.
Schließlich fand sie den Eingang zu einem der großen Nachtclubs. Zwei schwarzgekleidete Männer mit breiten Schultern bewachten ihn gemeinsam mit einem großen Dobermann, der an einen Pfosten neben den Eingang gekettet war. Nachdem sie eine kleine Gruppe junger Leute durchgewinkt hatten, blickten sie sich gelangweilt in der Gegend um.
Wenn es da drinnen Kleiderordnung gibt, bin ich geliefert,
dachte Keelin. Die Türsteher würden sie so, mit gammeligen Tarnfleckhosen und einem durchgeschwitzten grauen T-Shirt, kaum hineinlassen.
Der Dobermann bemerkte sie zuerst und schlug an. Beide Türsteher sahen zu ihr und grinsten. Nachdem sie Blicke ausgetauschthatten, zog der eine den bellenden Hund zu sich heran, während sich der andere vor ihr aufbaute.
»Wohin des Weges, Kleine? Hast du dich im Schlaf verlaufen?«
»Wir können dich so wirklich nicht reinlassen«, meinte der Zweite und zerstörte ihre Hoffnungen.
Sie versuchte es trotzdem. »Wollt ihr mich wirklich alleine in die Nacht zurückschicken?« Niemand war in Inverness nachts alleine unterwegs.
Niemand
! Sie hoffte darauf, dass die beiden so etwas wie ein Gewissen besaßen.
»Ja«, brummte der Erste.
»Hör mal, Mädchen, du gehörst nicht hierher. Wenn wir dich da reinlassen, dann bist du danach pleite oder stoned oder schwanger oder vielleicht alles zusammen … wenn du überhaupt wieder rauskommst. Wir meinen es nur gut mit dir!« Beide lachten rau; Keelin hatte den Verdacht, dass der Spruch trotzdem nur halb scherzhaft gemeint war.
Der Lärm in ihrem Hinterkopf wurde lauter. Die Stimmen drängten sie weiter. In ihren Schläfen begann ein pochender Kopfschmerz.
»Versteht ihr denn nicht? Ich muss da unbedingt hinein!« Verzweiflung stieg in ihr auf. Sie konnte die beiden Männer noch nicht einmal bestechen – ihr Geldbeutel steckte in ihrer anderen Hose, und die hing zu Hause über dem Schreibtischstuhl!
Die Stimmen bohrten sich immer weiter in ihr Bewusstsein. In ihrem Schädel zischte und summte es wie in einem Hornissennest. Zu ihrer Verzweiflung mischten sich plötzlich Wut und Aggression – stark genug, dass sie sich zusammenreißen musste, um nicht auf die beiden Männer loszugehen!
»Na klar! Hat dich dein Freund versetzt?« Einer der beiden grinste.
»Oder sie hat’s einfach so mal wieder nötig!«
Der Gesichtsausdruck des einen veränderte sich plötzlich. Hohn und Spott machten einem sorgenvollen Ausdruck Platz.
»Sag mal, Kleine, alles in Ordnung mit dir?«
Doch nichts war in Ordnung. Keelin spürte, wie der Tumult in ihrem Kopf übermächtig wurde, dass sie die Kontrolle über sich verlor. Das Gesicht des Mannes vor ihr verschwamm; seine Sprache wurde unzusammenhängend und lallend. Rote Schleier stiegen aus dem Boden auf. Die Stimmen wurden lauter und fordernder. Viel zu spät bemerkte sie, dass
sie
es waren, die ihr die Kontrolle
entzogen
.
Es gelang ihr nicht einmal mehr zu schreien, ehe sie in den roten Nebeln versank.
Als Keelin wieder zu sich kam, lag sie am Boden. Die Stille um sie herum war erdrückend. Selbst die Stimmen schwiegen. Das einzige Geräusch war ein leises Wimmern und Winseln. Keelin schmeckte Blut auf der Zunge. Ihr Kopf fühlte sich an, als ob er jeden Moment platzen könnte. Sie öffnete die Augen und sah sich um.
Sie befand sich immer noch vor dem Eingang des Nachtclubs. Einer der beiden Türsteher lag langgestreckt auf der Straße und rührte sich nicht. Der zweite hatte sich direkt neben ihr zu einem Ball zusammengekrümmt. Er hielt die Hände vor das Gesicht, zwischen seinen Fingern tropfte Blut. Er wimmerte leise. Der Hund duckte sich an den Boden, die Kette gespannt, so weit von Keelin entfernt wie nur irgendwie möglich.
Mühsam rappelte sie sich auf und ging langsam auf den Eingang zu. Der Hund folgte ihrer Bewegung wie der Schatten einer Sonnenuhr. Sie fühlte sich erschöpft und ausgebrannt, für den Moment sogar unfähig,
Angst
zu verspüren. Der Schock war zu groß – leider jedoch nicht groß genug, um die Frage zu
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