Schattenkrieg
ein drahtiger pockengesichtiger Mann mit fleckig wachsendem Bart und einer beginnenden Glatze am Hinterkopf; Bryce, etwas kleiner, athletisch gebaut, mit rasiertem Kinn und wallendem Schnurrbart; und Clyde, etwas jünger und deutlich kleiner als die anderen beiden, mit Vollbart und kurzem, lockigem schwarzem Haar. Die anderen beiden trugen ihr Haar lang, doch allen dreien waren die dünnen Zöpfe gemein, die aus dem Haupthaar über ihre Schläfen herabbaumelten.
»Gut, Euch zu sehen, Herr!«, begrüßte ihn Clyde. »Ihr wart länger weg, als wir erwartet haben.«
»Ja«, brummte Derrien, während er dem Schotten die Zügel des Pferdes in die Hand drückte und sein Druidenschwert
Waldsegen
abschnallte. »Mein Besuch ist nicht ganz nach Plan verlaufen.« Eigentlich hatte er das Gespräch mit Nerin vermeiden wollen. Er hatte gerechnet, dass der Alte ebenfalls bei den Samhain-Feierlichkeiten auf Sekken sein würde, und deshalb eine Nachricht vorbereitet. Nun zog er das beschriftete Lederstück aus der Tasche und warf es ins Feuer.
Während sich Clyde um das Pferd kümmerte, holte Derrien aus einer Packtasche Teller und Löffel und setzte sich zu den anderen. Nachdem er sich eingeschenkt hatte, blickte er zu Alarix, dem vierten Mann.
Der Gallier trug eine Hose aus schwerer Wolle sowie eine Fellwesteüber einem Hemd. Er behauptete von sich selbst, siebzehn zu sein, doch Derrien schätzte ihn jünger. Seine langen Haare waren dunkelblond, sein jugendliches Gesicht war noch weitgehend verschont vom Bartwuchs.
»Alarix, ich habe Schotten hier zurückgelassen. Ich hätte nicht damit gerechnet, bei meiner Rückkehr einen Gallier zu finden.«
Der Junge verbeugte sich kurz. »Herr, Quintus schickt mich mit einer Nachricht zu Euch.«
»Quintus?« Hatte er nicht vorhin an den Helvetier gedacht? Es sah so aus, als ob er die Neuigkeiten aus dem Süden weitaus früher als erwartet hören würde. »Sprich!«, befahl er.
»Quintus hat am Fuße des Jostedalsgletschers Siedlungen der Fomorer entdeckt, Herr, und –«
Mit einer Handbewegung brachte Derrien den Gallier zum Verstummen. »Er hat
was
entdeckt?«, flüsterte er.
»Fomorersiedlungen …« Alarix verstummte verängstigt.
»Fomorersiedlungen, was?« Derrien war von der Frechheit der Schatten gleichermaßen erbost wie überrascht. Seine Wut schäumte über. »Fomorersiedlungen! Wie kommen Fomorer zum Jostedal? Meine Männer beobachten den Sognefjord! Die Helvetier kümmern sich um den Osten! Und trotzdem tauchen dort ganze
Siedlungen
von ihnen auf! Wie kommen die dahin, möchte ich wissen!« Wütend trat er gegen einen leeren Eimer, der krachend in seine Einzelteile zerbrach.
Alarix war sichtlich nicht wohl in seiner Haut. Derrien sah ihm an, dass das noch nicht das Ende der schlechten Nachrichten war. »Was gibt es denn noch? Raus mit der Sprache, niemand bestraft dich für das, was du mir zu berichten hast!«
»Quintus hat mir aufgetragen, eine persönliche Nachricht von ihm auswendig zu lernen.« Derrien nickte ihm zu, woraufhin Alarix die Augen schloss und begann:
»›Derrien,
am Jostedalsbreen treibt sich ein Trupp aus dreißig Reitern herum, der in den Dörfern Blutgeld eintreibt. Ihr Anführer trägteine Augenklappe und hat eine große Narbe durch sein Gesicht. Sein Feldzeichen ist ein schwarzer Baum auf grünem Tuch. Lydix hat ihn als Schatten erkannt. Ich bin mir sicher, es ist Lord Rushai. Der Schwarze Baum lebt. Mein Trupp ist nicht stark genug, um ihn anzugreifen. Ich schicke deshalb einen Melder zurück und beobachte ihn weiter. Ich werde alle drei Tage einen weiteren Reiter senden, um Euch auf dem Laufenden zu halten. Gruß, Quintus.‹«
Alarix öffnete die Augen, sah zu Derrien auf. »Das war alles, Herr.«
Lord Rushai
… Stimmen wurden in seinem Hinterkopf laut, flüsternde Stimmen, die Stimmen seiner Ahnen, die ihm eine ganz andere Art von Wut versprachen als die, die er gerade eben noch empfunden hatte, eine rasende Wut, die Druidenwut, die ihn alles um sich herum vergessen lassen würde … Das Angebot war verlockend, ebenso verlockend wie vorher das Angebot, sich vom Strom der Magie mitreißen zu lassen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, seine Zähne knirschten aufeinander. Er benötigte alle Kraft, um den Anfall niederzukämpfen und die Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Lord Rushai …
der Name brachte böse Erinnerungen mit sich. Rushai war ein alter Schatten, gefährlich und gerissen. Er war beim Überfall auf die helvetischen
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