Schattenkrieg
, deren Bewohner er notfalls zur Hilfe holen kann.
Ja, Derrien hatte Angst, ein Gefühl, das ihn nur selten befiel. Musste er Rushai ablenken, wäre das ein Tanz mit dem Teufel. Tage-, wenn nicht gar wochenlange Strapazen standen ihm dann bevor, ohne ausreichend Schlaf und ständig die Gefahr im Nacken …
Dann würde er Deweydrydd und Murdoch beneiden. Verglichen mit einem Katz-und-Maus-Spiel gegen den Schwarzen Baum wäre es geradezu ein Kinderspiel, die Dörfer brandzuschatzen.
Das
waren Momente, in denen man sich lebendig fühlte. Derrien hatte sie erlebt – auf dem Pferd sitzend, den Geruch brennenden Strohs in der Nase, die Ahnenstimmen in den Ohren, die Luft geschwängert von Panik und Mordlust. Es war ein
gutes
Gefühl, das Gefühl der absoluten Stärke und Dominanz, den tierhaften Trieben freien Lauf gewähren zu können, im Kopf keine Gedanken mehr an Gnade oder Mitleid. Wenn er mit seinem Schwert auf fliehende Bauern einhackte, wenn er seinen Schwanz in die Körper schreiender Frauen stieß …
Wütend pfefferte er den Bierkrug auf den Boden. »VERDAMMTE SCHATTEN!«, brüllte er. Seine Faust krachte mit aller Gewalt auf den Tisch. »VON ALLEN GÖTTERN«, noch einmal, »VERDAMMTE«, und noch einmal. »DRECKSSCHATTEN!« Derriens letzter Schlag brach durch die Platte. Den zusammenklappendenTisch beförderte er noch mit einem kräftigen Tritt gegen eine Wand, bevor er mit einem lauten Seufzer wieder auf seinen Stuhl sackte.
Es war
ihre
Schuld! Ja, es
machte
ihm Spaß, im Blutrausch zu morden und zu vergewaltigen, aber er wusste auch, welch verabscheuenswürdiges Verbrechen das war … Doch Rushai
zwang
ihn ja geradezu! Wenn seine Schatten die Menschen zu Fomorern machte, blieb einem ja nichts anderes mehr übrig!
Er sprang wieder auf, griff nach seinem Umhang und hastete nach draußen. Vor seinem Zelt rannte er beinahe zwei Männer über den Haufen, doch er ignorierte sie, ignorierte auch den Ruf der Wache, als er an ihr vorbei in den Wald lief.
Tief hängende Äste schlugen ihm ins Gesicht, sein Hemd blieb irgendwo hängen und zerriss mit einem hässlich ratschenden Geräusch. Das Wetter war schlimmer geworden, der Regen trommelte auf seinen Kopf und durchnässte ihn binnen weniger Sekunden.
Es dauerte Minuten, bis er gefunden hatte, wonach er suchte, eine knorrige Eiche, die er unter all den Buchen und Fichten beinahe übersehen hätte. Mit brennenden Augen ging er vor ihr in die Knie.
»Ich bin kein Mörder!«, flüsterte er, während er in Gedanken das Bildnis des Götterfürsten Lugh heraufbeschwor. »Ich verteidige nur mein Volk, das wisst Ihr, Herr! Das ist es doch, was Ihr wollt, oder?«
Er bekam keine Antwort, und eigentlich benötigte er auch gar keine. Er hatte sich die Frage schon lange
selbst
beantwortet und die Entscheidung getroffen. Die Momente, in denen er sich hinterfragte, waren selten und gingen schnell vorüber.
So auch dieses Mal. Er stieß einen Fluch aus und stand auf, über sich selbst mindestens genauso verärgert wie über die Situation.
Erst jetzt, da er sich beruhigt hatte, fiel ihm auf, wie dunkel es inzwischen geworden war.
Finster wie im Bärenarsch,
kommentierte er in Gedanken. Kein Wunder, dass er vorhin so durch das Unterholz gebrochen war … Er hatte keine Lust, den Weg auf ähnlicheWeise zurückzulegen, und konzentrierte sich auf einen Zauber.
Große Eule, Herrin der Nacht! Luft unter Deine Schwingen und Beute in Deine Klauen! Ich bin nur ein Nichts, an den Boden gefesselt, die Weiten der Lüfte ersehnend! Gewähre mir einen Blick durch Deine Augen!
Die Schwärze der Nacht wandelte sich zum fahlen Grau der Dämmerung. Derrien zog seinen Umhang fester und marschierte zurück. Erneut ignorierte er den Ruf der Wache.
Als er an Deweydrydds Zelt vorbeikam, blieb er zögernd stehen. Vielleicht war es besser, noch einmal mit dem Druiden zu sprechen. Deweydrydd würde die größten Probleme mit seinem Auftrag haben. Aus Angst vor sich selbst wagte es der Druide nicht, sich in den Blutrausch zu versetzen. Für ihn gab es keine Flucht, wenn er Dörfer plünderte und Frauen und Kinder erschlug. Er mordete bei vollem Bewusstsein. Derrien schlug den Zelteingang zur Seite und trat ein.
Der Waliser kniete am Boden seines Zelts vor einem kleinen Altar, den er aus aufeinander gestapelten Packkisten errichtet hatte. Vor einer brennenden Kerze hatte er eine kleine hölzerne Figur aufgestellt, eine dicke, nackte Frau mit großen Brüsten und breiten Hüften. Es war ein
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