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Schattenkrieg

Schattenkrieg

Titel: Schattenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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beobachten konnte, wie die Schneefallgrenze sank, je weiter sie ins Landesinnere kamen. Aus schneebedeckten Gipfeln zu Beginn der Reise waren bald schneebedeckte Berge und schließlich sogar verschneite Täler geworden. Inzwischen fuhr der Zug durch eine schmutzigweiße Winterlandschaft, immer wieder durchbrochen von Staudämmen, Fabriken, Feldern und Dörfern.
    Kein Zweifel: Die Menschen der Außenwelt hatten sich das Land unterworfen.
    Der Preis, den sie dafür zahlten, stach Ronan jedoch schmerzhaft ins Auge. Die Urwälder Norwegens, die in der Innenwelt noch heute vielen Tälern und Flussläufen folgten, waren hier gerodet, an ihre Stelle waren Felder, Dörfer, Weiden und manchmal auch nur Brachland getreten; die Siedlungen waren heruntergekommen und wirkten ausgestorben, wenn man von den Armen und Obdachlosen absah, die sich an den Bahnhöfen herumtrieben; die vereinzelten Fabriken bliesen dicke schwarze Rauchwolken in denHimmel. Ronan empfand dies als bedrohlich, doch ihm war klar, dass Norwegen noch sehr gut dastand. Er hatte Geschichten über Deutschland und Frankreich gehört, die ihm die Haare zu Berge stehen ließen.
    Wie immer war Ronan zwar fasziniert, aber auch erschüttert über diese Welt dort draußen hinter den Glasscheiben des Zuges. Er war in der Innenwelt geboren und aufgewachsen und hatte fast sein gesamtes Leben dort verbracht. Der Anblick der Außenwelt kam jedes Mal wie ein Schock. Er fühlte sich nicht wohl hier und vermied sie, wann immer möglich. Selbst zu den Ratsversammlungen in Dùn Robert segelte er gewöhnlich mit seinem Boot, anstelle in die Außenwelt zu wechseln und sich von einem Kelten-Sympathisanten fahren zu lassen.
    So wie ihm ging es vielen in der Innenwelt geborenen Druiden. Technik, soziale Normen, ja sogar die Sprache blieben ihnen für immer fremd. Es fehlte an Allgemeinbildung und Erfahrung mit den alltäglichen Dingen, die selbst
Kinder
in der Außenwelt beherrschten. Auch Hygiene und Mode waren für sie unverständlich. Innenwelt-Druiden wirkten meist ungepflegt, und wenn sie niemand daran erinnern würde, ihre Innenweltkleidung und vor allem ihre Klingen abzulegen, würden sie sogar das vergessen.
    Wenigstens machte sich Ronan nicht alleine zum Affen. Briand, der ihm gegenüber saß, war ebenso Innenweltler und stellte sich kaum besser an.
    Ronan vermutete, dass die Außenweltler gar nicht realisierten, wie kompliziert ihre Welt tatsächlich war. Selbst die kleinsten Handgriffe fielen erstaunlich schwer. Es hatte eine Weile gedauert, bis er das Prinzip von Reißverschlüssen verstanden hatte. Wasserhähne waren nur so lange einfach zu bedienen, wie sie je eine blau und rot markierte Schraube an den Seiten besaßen; die moderneren Hebelversionen bereiteten ihm regelmäßig Kopfzerbrechen und Verbrühungen. Das Allerschlimmste aber war der Verkehr. Wie oft war Ronan schon gedankenverloren über eine Straße geschlendert und fast zu Tode erschrocken, wenn ein Auto hinterihm hupte oder gar eine Vollbremsung machen musste, um ihn nicht zu überfahren. Wenn man sich vor Augen hielt, welche Umweltverschmutzung der Straßenverkehr angeblich verursachte, dann konnte das Auto nur die Erfindung eines Schattens gewesen sein.
    An sich waren diese Probleme jedoch harmlos. Ein vom heißen Wasser verbrühter Rücken heilte ebenso schnell wie ein im Reißverschluss eingezwickter Finger (oder auch andere Körperteile – wobei
diese
Erinnerung so peinlich war, dass er sie gerne vergessen würde). Selbst wenn ihn ein Auto überfuhr, wäre er vermutlich schon wieder auf den Beinen, bevor der Fahrer seinen Schock überwunden hatte. Solange keine Schatten im Spiel waren, gab es nur wenige Möglichkeiten, sich in der Außenwelt den Tod zu holen – und keine davon fand man auf den Straßen.
    Dafür waren die Schatten in der Außenwelt eine viel größere Gefahr. Die Schatten waren anpassungsfähiger und fühlten sich in beiden Welten zu Hause. Hier gab es die Rattenmenschen, gestaltwandelnde, magische Kreaturen, die ihnen die Treue geschworen hatten. Außerdem gab es in der Außenwelt so viele Menschen, unter denen sie sich verstecken konnten. Dies machte besondere Aufmerksamkeit erforderlich. Aufmerksamkeit oder die Beherrschung spezieller Kräfte – Kräfte, die Ronan nicht besaß, dafür aber Briand.
    Briands Zeichen war die Birke. Sie stand für Diplomaten und Kundschafter. Ihre Druiden waren wechselhafte, unstete Menschen, die sich oft sehr spät oder gar nicht für einen Pfad

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