Schattenkrieg
Seitentür war ein Mann getreten. Er war etwas größer als Ronan selbst, mit dunkelblondem kurzem Haar und Vollbart. Seine Robe war über und über mit keltischen Mustern verziert und aus so grobem Tuch hergestellt, dass sie aus der Innenwelt stammen musste. Er hatte einen festen Körperbau, mit breiten Schultern und starken Armen – insgesamt machte er mehr den Eindruck eines Handwerkers als eines Priesters.
Druide,
war Ronans erster Gedanke. Aber er war sich nicht sicher. Der Mann besaß zwar eine erwachte Aura, doch war diese unkontrolliert und wild. Außerdem wurde jeder neue Druide in der Ratsversammlung vorgestellt, und Ronan war sich sicher, diesen Mann dort noch nicht gesehen zu haben.
»
Ziemlich
beeindruckend«, stimmte er mit gedämpfter Stimme zu. Dann reichte er ihm die Hand. »Ich bin Ronan.«
»Henrik Frist. Sehr erfreut!«
Nachdem sich auch Briand vorgestellt hatte, fragte Ronan: »Nehmen es die Menschen an?«
Der Mann nickte. »Als wir dieses Gebäude errichteten, war unsere Gemeinde schon so groß, dass die Stadtverwaltung die Proteste der Kirche ignorierte. Hier in Otta sind inzwischen drei Viertelder Menschen zu unserem Neokeltizismus konvertiert. Die letzte christliche Taufe ist drei Monate her.« Henrik lächelte bescheiden, doch Ronan spürte den Stolz, der in ihm loderte. »Zu den großen Festen bringen wir schon lange nicht mehr alle Leute unter. Zwei Genehmigungsverfahren für Kirchen in Lom und Dovre laufen gerade. Es sieht so aus, als ob wir zumindest in Lom bald bauen dürften.«
»Wie reagiert die Magie?«, fragte Briand.
»Mehr Menschen entwickeln eine Aura und wünschen sich, in die Innenwelt gebracht zu werden. Und sie sind glücklich dort. Ich besuche sie regelmäßig in meinen Träumen.«
Ronan verstand. Henrik besaß die erwachte Aura eines Menschen, der bereit war, in die Innenwelt gebracht zu werden. Doch aus irgendeinem Grund war er in der Außenwelt geblieben. Vielleicht brauchte man ihn hier als Missionar? Ob er wohl wusste, wie sehr ihn das in Gefahr brachte?
»Aber Sie sind bestimmt nicht gekommen, um diesen Ort hier zu bestaunen«, fuhr Henrik fort. Es dauerte einen Augenblick, bis Ronan verstanden hatte, dass Henrik tatsächlich die norwegische Höflichkeitsform verwendete. »Ich bin mir sicher, Sie haben in Ihrer Heimat noch mehr heilige Orte. Ich selbst bin nur ein Suchender, während Sie den Pfad schon lange gefunden haben. Ich stehe zu Ihren Diensten!«
»Wir sind Bretonen aus dem Romsdalsfjord und suchen einen Mann namens Cintorix. Kannst du uns weiterhelfen?«
Henrik nickte. »Ich denke schon. Cintorix ist ein Druide?«
»Ja.«
»Dann ist er am Abend bestimmt im Heiligen Hain in Jotunheimen.« Seine Stimme senkte sich. »Dort wird die letzte Zeremonie für den Druiden Magnus Jotunheim abgehalten.«
Erschrocken zog Ronan die Augenbrauen nach oben. »Magnus? Was ist passiert?« Magnus war ein Mitglied des Fürstenrats. Ein
wichtiges
Mitglied. So wie Ronan Häuptling Nerin vertrat, war Magnus Helveticus’ Vertreter …
»Es ist jetzt sieben Tage her. Ein Inquisitor der Kirche tauchte hier auf, als Magnus gerade zu Besuch war. Wäre ich allein gewesen, wäre ich jetzt vermutlich tot. So hat mir Magnus das Leben gerettet.«
Sie schwiegen betreten. Ronan war schockiert, aber auch wütend. Es genügte nicht, dass sich sein Volk gegen Fomorer und Schatten zur Wehr setzen musste, nein, auch die Kirche hatte nichts Besseres zu tun, als ihnen nachzustellen!
»Der Inquisitor –«, setzte Briand zur Frage an.
»– ist tot«, schnitt ihn Henrik ab.
»Und was ist mit dir?«
»Ich werde weitermachen. Dies hier ist das, woran ich glaube. Ich habe eine große Gemeinde, um die ich mich kümmern muss. Soll denn alles umsonst sein, nur weil die Kirche versucht, uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen?«
Ronan nickte anerkennend über den Mut des Mannes. Selbst ohne ein Druide zu sein, würde Henrik in der Innenwelt zu einem einflussreichen Mann werden, zu einem Hauptmann vielleicht oder der rechten Hand eines Fürsten. Stattdessen blieb er hier, festigte den Einfluss der Helvetier und riskierte es, vom nächsten Inquisitor oder einem vagabundierenden Schatten getötet zu werden.
»Wir müssen weiter«, meinte Ronan schließlich. »Können wir uns hier irgendwo umziehen?«
»Aber natürlich!« Er deutete auf die Tür, durch die er vorhin selbst gekommen war.
Dahinter befand sich ein kleiner, unscheinbarer Nebenraum, in dem die beiden Druiden ihre
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