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Schattenkrieg

Schattenkrieg

Titel: Schattenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
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einmal sah sie, wie die alten Kelten als Nomaden durch die Wälder Britanniens zogen, wie sie geboren wurden, lebten und starben. Sie sah Jäger und Sammler, späterauch Bauern und Hirten, sie sah Krieger, die in die Schlacht zogen, anfangs gegen andere Kelten, später gegen Invasoren vom Festland, sie sah Siegesfeste, als Römer und Wikinger zurückgeschlagen wurden, und Flüchtlinge, als die Feinde schließlich die Kelten in den Norden Britanniens zurücktrieben. Sie sah Jahrhunderte des Friedens, nur von kleineren Scharmützeln unterbrochen, und dann das plötzliche Auflodern eines neuen großen Krieges, als erneut Germanen gegen den Stamm zogen und Tod und Verderben mit sich brachten. Sie spürte in sich den Stammeszorn, als so viele Kelten von den entfesselten Germanen niedergemetzelt wurden, spürte den Schmerz, den der Stamm erlitten hatte, als der Krieg wütete. Und sie spürte den kalten Hass, mit dem die Kelten zurückschlugen und den alten Feind vernichteten, ausrissen aus dieser Welt mit Stumpf und Stiel, auf dass die Germanen nie wieder gegen die Kelten in den Krieg ziehen konnten.
    »Du besitzt nun die Stammeserinnerung«, sprach Trevor erschöpft, als der Gesang langsam verebbte und mit ihm die Stimmen in ihrem Kopf. »Die Ahnen erkennen dich als eine der ihren. Nun hast du die Druidenkraft.«
    Keelin fühlte, wie sie sich veränderte, wie sich von einem Moment auf den anderen ihre Sinne schärften, als ob sie noch nie zuvor so intensiv gesehen, gehört, gerochen und gefühlt hätte. Es war, als würde sie aus einem Traum erwachen.
    »Und dies ist deine Bestimmung«, fuhr Trevor fort. »Dein Druidenzeichen soll die Eibe sein. Wie alle Nadelbäume ist dies ein Kriegerzeichen.«
    Keelin hörte, wie die Druiden überrascht nach Luft schnappten. Verwunderung, ja auch Bestürzung war auf den Gesichtern zu lesen.
    »Die Nadeln der Eibe sind stumpf, denn sie ist ein hinterhältiger Krieger. So wie unser Stamm seit Jahrtausenden Pfeil- und Waffengifte aus dem Baum gewinnt, tötet sie selbst mit Gift und Tücke. Sie ist ein Einzelgänger, dem niemand traut. Doch dein Pfad, Keelin, ist nicht der eines Kriegers. Dein Pfad ist der Pfad desHeilers. Nur wenige wissen über die heilenden Fähigkeiten der Eibe. Dennoch wirst du nicht angesehen sein, nicht als Krieger, nicht als Heiler. Du wirst ihr Gift dazu nutzen, ungeborene Kinder zu töten, um ihre Mütter zu schützen, du wirst mit ihrem Gift die Schwerkranken von ihren Leiden befreien. Du wirst Trost bitter nötig haben, und doch wird von dir selbst Trost erwartet werden für diejenigen, die außer Trost nichts mehr erhoffen können in ihrem Leben.« Trevor holte tief Luft, bevor er schloss: »Dies ist die Weisheit der Götter, der ich mich und wir uns zu beugen haben.«
    Die Feuer auf dem Altar erloschen im selben Moment. Keelin spürte, wie sie von Leere befallen wurde. Die Worte des Zauberers hatten sie bis ins Innerste erschüttert. Ihre Träume von einer idyllischen Zuflucht hier in dieser Welt waren zerschlagen und in tausend Stücke gesprengt. Sie spürte die Tränen, die ihre Wangen hinabliefen, und wehrte sich nicht dagegen.
    Ein schlanker Arm legte sich um ihre Schultern, als Rowena – die Heilerin! – sie zu sich zog.
    »Gräme dich nicht, Keelin!«, hörte sie die Heilerin flüstern. »Der Pfad mag nun finster aussehen, doch du wirst das Licht finden, vertrau mir! Ich kenne Geschichten über Eiben, die Großes geleistet haben, und Neill wird noch einige mehr erzählen können! Nicht alles ist so schwarz, wie es der alte Trevor ausmalt.«
    Doch Keelin war in ein Loch gestürzt, in dem sie keine Worte mehr erreichen konnten. Als Rowena sie zurück ins Dorf führte, fühlte sie sich wie in Trance, wie eine Schlafwandlerin. Keelin war aus einem Alptraum erwacht – und fand sich in einem anderen wieder …

RONAN
     
    Gundbrandsdal, helvetisches Siedlungsgebiet, Norwegen
    Donnerstag, 05. November 1998
    Die Innenwelt
     
     
    Im Zug war es überraschend kalt. Eines der Fenster war zerschlagen, so dass der Fahrtwind ungehindert in das Abteil dringen konnte. Zumindest überdeckte es den scharfen Geruch aus der Toilette, der vor der Abfahrt noch deutlich zu riechen gewesen war. Nun hatte sich Ronan tief in seine gesteppte Jacke verkrochen und starrte nach draußen, ans Fenster gelehnt und mit vor der Brust verschränkten Armen. Das monotone Rattern des Zuges dröhnte laut in seinen Ohren.
    Besonders beeindruckte Ronan, wie er während der schnellen Fahrt

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