Schattenkrieger: Roman (German Edition)
Schwall böser Verwünschungen aus.
»Wir sind da«, verkündete Cole. Er starrte in den steinernen Durchgang, der zur Treppe führte. Wahrscheinlich saßen die Splitter schon in ihrem Zufluchtsort und machten sich Sorgen wegen seiner Abwesenheit. Ein freudiger Schauder durchfuhr ihn. Er hatte Verletzungen erlitten, die viele schwächere Männer handlungsunfähig gemacht hätten, und doch stand er aufrecht, kehrte als unerschütterlicher Held zurück und brachte sogar wackere neue Freunde mit. Er konnte es kaum erwarten, Sashas Miene zu sehen und …
»Stimmt was nicht?« Brodar Kaynes Frage riss ihn jäh aus dem Tagtraum. Cole schüttelte den Kopf.
»Die Tür da vorne führt in den Altarraum. Die Splitter sind dort oben. Überlasst mir das Reden, dann wird alles gut.« Cole lief zum anderen Ende des Durchgangs und stieg die paar Stufen zur Tür hinauf, um in einem komplizierten Rhythmus anzuklopfen. Drinnen war ein undeutliches Gemurmel zu hören. Er wartete, bis der Riegel zurückgezogen wurde und die Tür aufging.
»Cole!«, rief Sasha. Ohne jedes Mitgefühl betrachtete sie sein zerschlagenes Gesicht. »Komm lieber schnell rein.«
Die Splitter waren um die Überreste des großen Altars versammelt, der einst das stolze Herz im Heiligtum der Großen Mutter dargestellt hatte. Vor einigen Jahrhunderten hatten die verbliebenen Anhänger des Mutterglaubens den letzten Mut verloren, ihren Tempel aufgegeben und die goldenen Statuen, welche die Große Mutter in ihren unterschiedlichen Aspekten zeigte, sowie alle andern Wertgegenstände entfernt. Daher war dieser Ort nun gänzlich ungeschmückt. Neben dem Altar hatte sich eine Pfütze gebildet, weil durch einen großen Riss in der Decke des Tempels das Regenwasser tropfte. Es strömte weiter bis ins Kirchenschiff und schwemmte dabei Staub, Rattenkot und anderen Unrat mit hinein.
Wie um den Beleidigungen der Großen Mutter die Krone aufzusetzen, hatte Garrett sich mit seinem ausladenden Hintern auf den Altar gehockt und blickte von dort aus Cole entgegen. Zehn weitere Augenpaare beobachteten den jungen Splitter. Im schwachen Licht konnte Cole die Gesichter nicht genau erkennen, aber es sah nicht nach der großen Erleichterung aus, mit der er gerechnet hatte.
»Du kommst spät«, sagte Garrett. Er tippte auf die Taschenuhr, die er in der Hand hielt. Es war ein luxuriöses Gerät, eine neue Erfindung aus der Schattenstadt. Kurz vor dem Ausbruch des Konflikts mit Dorminia hatte Garrett sie zu einem unglaublichen Preis bei einem Händler aus Schattenhafen erstanden.
»Lieber spät als nie, was?«, erwiderte Cole und lächelte reumütig. »Ein Zwischenfall mit unseren Freunden von der Roten Wache hielt mich auf. Es ist aber nichts Schlimmes geschehen.« Er deutete auf sein Gesicht. »Abgesehen von meiner Nase. Aber keine Sorge, Sasha, das wird schon heilen.«
Jemand hustete. Sasha schüttelte den Kopf und starrte den Boden an.
»Die Wächter hatten allerdings weniger Glück«, fuhr Cole fort. Er machte eine dramatische Pause und zuckte lässig mit den Achseln. »Sie sind tot.«
Tiefes Schweigen folgte auf seine Worte. Schließlich ergriff Garrett das Wort und fragte leise: »Wer sind diese Männer dort?«
Cole drehte sich zu der Tür um, wo die Hochländer im Schatten warteten. Seine Handflächen wurden feucht. »Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Ich habe sie auf dem Weg hierher kennengelernt. Einer von ihnen, äh, er hat mich bei der Auseinandersetzung mit der Wache unterstützt. Sie brauchten ein Versteck, also …«
»Das ist unglaublich. Dies ist ein Dreckloch. Und hier sollen wir uns verstecken? Leck mich doch. Ich bleibe nicht hier, das kommt überhaupt nicht infrage.« Jerek trat ins Licht und baute sich vor Cole auf. Der junge Splitter wich erschrocken zurück, als ihm der stinkende Atem des Hochländers ins Gesicht schlug. Gleich danach tauchte auch Brodar Kayne auf und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter.
Sofort griffen die Splitter zu den Waffen und richteten die Armbrüste auf die beiden Fremden. Jereks Hände wanderten im gleichen Augenblick zu den Axtgriffen.
Cole schloss die Augen. Es verlief ganz und gar nicht so, wie er es sich ausgemalt hatte.
»Genug«, befahl Garrett. »Lasst die Waffen sinken. Diese Männer gehören nicht zur Wache.«
»Ganz bestimmt nicht«, bekräftigte Brodar Kayne. »Ich habe euren Burschen hier gerettet. Er hat sich wacker geschlagen, aber es scheint, als hätten ihm die Hiebe, die er einstecken
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