Schattenkuss
nicht?«
»Ich gehe lieber.« Echt null Bock, Steffi eine Sekunde früher zu begegnen als unbedingt nötig. Noch immer saß der Schmerz hinter dem Brustbein, schnürte ihr etwas die Kehle zu. Scheiße!
Benno stieg aus, öffnete die Heckklappe des Geländewagens und hob das Rad hinein. »Ist mit dir alles in Ordnung? Du wirkst so bedrückt.«
Lena verzog den Mund.
»Liebeskummer?« Benno sah so besorgt aus, dass Lena lachen musste. Gleichzeitig bemerkte sie, wie Tränen in ihr aufstiegen. Oberkante Unterlid. Mist . »Nee. Das nun ganz bestimmt nicht.«
Die Heckklappe schlug zu. Abwartend blieb Florians Vater stehen. »Etwas in mir sträubt sich, eine beinahe weinende junge Frau am Straßenrand stehen zu lassen. Komm, ich fahr dich nach Hause. Steffi macht sich sonst noch Sorgen.«
Lena schnaubte.
»Ach so. Da liegt der Hund begraben.«
Mit nachdenklichem Blick lehnte er sich an das Auto. »Ein Vorschlag: Wir fahren in einen Biergarten. Ich bin wahnsinnig hungrig und daheim wartet niemand auf mich. Während der Fahrt lädst du deinen Frust über Steffi bei mir ab. Danach wird es dir besser gehen und du wirst einen Bärenhunger haben.«
Lena wusste nicht recht, was sie sagen sollte.
»Ich eigene mich hervorragend als Mülleimer.« In seinen Augen saß Schalk, in den Mundwinkeln ein nettes Lächeln.
Sicher hatte Steffi den ganzen Tag über versucht, Lena zu erreichen. Vermutlich quoll die Mailbox schon über und Steffi stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Geschah ihr recht. »Okay. Einverstanden.«
Benno hielt ihr die Tür auf. Lena setzte sich auf den Beifahrersitz. Sie fuhren über die Landstraße in ein Dorf an der gegenüberliegenden Seeseite. Unterwegs bat Benno sie, Steffi eine SMS zu schicken, bevor sie bei der Polizei eine Vermisstenmeldung aufgab. Er traute ihr das durchaus zu. Lena auch. Sie schaltete das Handy an. Sieben Nachrichten in der Mailbox. Komme spät!, simste Lena . Das musste genügen.
Inzwischen erreichten sie ihr Ziel. Benno parkte vor einem alten Gutshof mit weißen Mauern, rotem Ziegeldach und einem kleinen Glockenturm. Linker Hand erstreckte sich der Garten, unter einem Dutzend alter Kastanien standen weiß gedeckte Tische, auf denen Gläser und Besteck funkelten. Beinahe alle waren besetzt. Von wegen Biergarten, dachte Lena. Ein Kellner kam auf sie zu, begrüßte Benno und führte sie an einen Tisch, etwas abseits am Ufer. Benno schob Lena den Stuhl hin und setzte sich ihr gegenüber. Der Kellner reichte die Karten und fragte, ob sie schon Getränke bestellen wollten. Lena wollte nur Wasser, während Benno Weißwein wählte.
Zwanzig Minuten später stocherte sie in ihrem Essen herum, gegrillter Lachs und Gemüse, und begann, Florians Vater, der ein Steak mit Bratkartoffeln aß, von den Geschehnissen der letzen Zeit zu erzählen. Wie Tom seinen Job verloren und ihre Eltern die Rollen getauscht hatten, dass Steffi damit nicht zurechtkam und Tom auch nicht, dass sie ständig stritten und dass Steffi nun anscheinend auch noch eine Affäre hatte. Mit wem, verschwieg Lena. Altenbrunn war ein Kaff. Wenn sich das herumsprach!
Benno hörte aufmerksam zu und unterbrach sie nicht. Als sie fertig war, fühlte sie sich leichter.
Während er Mineralwasser nachschenkte, fragte er, ob sie vielleicht lieber eine Weißweinschorle wolle. Als sie nickte, füllte er das Glas mit Wein auf und sah sie dann ernst an. »Und nun bist du wütend und hast Angst, Tom und Steffi könnten sich trennen.«
»Ist ja nicht ganz aus der Luft gegriffen.«
»Nach achtzehn Jahren Ehe trennt man sich nicht so schnell. Deine Eltern passen gut zusammen, das spürt man sofort, wenn man sie sieht. Selbst wenn Steffi eine Affäre hat … es ist nur eine Affäre. Das ist heute doch beinahe normal. Vielleicht ist es auch ein Hilferuf. Möglicherweise zeigt sie so, dass sie überfordert ist und sich alleine gelassen fühlt. Ich glaube nicht, dass sie einfach die Flinte ins Korn wirft und euch sitzen lässt.«
Bennos Worte irritierten Lena. Wie konnte er so gelassen über ein mögliches Verhältnis ihrer Mutter sprechen? Aber irgendwie wirkten sie auch beruhigend. Es stimmte, was Benno gesagt hatte. Steffi war die Familie sehr wichtig. Und sie war pragmatisch, behielt so gut wie immer einen kühlen Kopf. Aber gerade deshalb sollte sie doch wissen, welche Folgen es hatte, wenn sie sich mit diesem aalglatten Anwalt einließ! Und ein Hilfeschrei? Vielleicht. Darüber musste sie nachdenken. Lena atmete durch und trank den
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