Schattenkuss
sich auf die andere Seite des Prinzessin-auf-der-Erbse-Bettes. Den ganzen Tag lang hatte sie die Gedanken an Benno verdrängt, jetzt überfielen sie sie auf einmal mit aller Macht.
Wenn er jetzt hier wäre, ginge es ihr sicher besser. Das Haus war still und dunkel. Bis auf das Knarren, das hin und wieder erklang und einem wirklich Angst einjagen konnte. Vermutlich sind das nur die alten Balken, beruhigte Lena sich.
Wer keine Angst hat, hat keine Fantasie! Irgendjemand hatte Ulrike bedroht. Weshalb? Und wer? Odakota? Vielleicht war es aber auch nur ein Scherz gewesen. Ein ziemlich geschmackloser allerdings.
Lena drehte sich wieder auf den Rücken. Sie konnte nicht einschlafen. Während der Radtour hatte sie darauf geachtet, nicht neben Florian zu radeln. Wenn er wüsste …
Auweia! Was war sie für eine Idiotin! Lena sprang aus dem Bett. Hatte sie das Handy wieder angemacht, nachdem sie den leeren Akku aufgeladen hatte? Sie schaltete das Licht ein und zog das Mobiltelefon aus dem Rucksack. Es war aus! Kein Wunder, dass Steffi sich nicht gemeldet hatte. Mit fliegenden Fingern tippte sie die PIN ein. Ein Signalton erklang. Sie haben zwei neue Nachrichten. Beide waren in der Mailbox. Lena hörte sie ab. »Hallo Lena.« Benno! »Der Abend mit dir war wunderschön. Ich denke dauernd an dich. Können wir uns heute sehen? Rufst du mich an?« Seine Stimme klang so zärtlich. »Ich liebe dich.« Eine heiße Glückswelle stieg in Lena auf.
»Hallo Lena, Tom hier. Geht es euch gut? Ich kann weder Steffi noch dich erreichen, nehme aber an, dass keine Nachrichten gute Nachrichten sind. Mach’s gut und melde dich mal. Tschüss.«
Hastig tippte Lena eine SMS an Tom: Alles im Lot + Gute Nacht! Dann sah sie aus dem Fenster. Bei den Leitners brannte noch Licht im Wohnzimmer. Sie rief Bennos Nachricht auf und drückte die Rückruftaste. Auf einmal war sie aufgeregt.
Nach dem vierten oder fünften Klingeln wurde abgenommen. »Leitner!«
Das war nicht Benno, sondern Petra! Ein Gefühl wie ein Schlag in den Magen. Mit zitternden Fingern legte Lena auf. Schock! Wie kam Petra dazu, an sein Handy zu gehen?
Die Nummer von Lenas Handy wurde nicht unterdrückt. Petra hatte sie gesehen. Wenn sie nun zurückrief? Hastig schaltete Lena das Gerät aus.
Eine Stunde später, als bei den Leitners das Licht ausgegangen war, machte sie ihr Handy wieder an. Ein Anruf in Abwesenheit. Der Anrufer hatte keine Nachricht hinterlassen. Aber die Nummer war auf der Liste. Es war Bennos Nummer. Hatten er oder seine Frau zurückgerufen? Scheiße! Wenn Petra gewartet hatte, bis Lenas Mailbox angesprungen war, dann wusste sie jetzt, wer Benno angerufen hatte. Um Mitternacht. Ihr wurde ganz schlecht. Dafür würde sich keine plausible Erklärung finden lassen. Oder doch?
Sie beschloss, Benno eine SMS zu schreiben, um ihn zu warnen. Aber was, wenn Petra sie las? Sie steckte ganz schön in der Klemme!
In dieser Nacht schlief sie schlecht. Irgendwann hörte sie Steffi zurückkommen. Es war beruhigend, nicht länger alleine im Haus zu sein. Lena zwang sich, Benno und die Folgen, die ihr nächtlicher Anruf möglicherweise haben würde, aus ihren Gedanken zu verbannen. Stattdessen nahm sie sich vor, früh aufzustehen, um ihre Mutter endlich mit all den Fragen zu löchern, die sie bisher nicht hatte stellen können, weil Steffi ihr wie ein nasses Stück Seife ständig entwischte. Wer ist Mike? Wer ist Crossi? Wo sind die Postkarten? Hatte Ulrike etwas mit Oliver Aigner? Warum wurde Oliver Aigner damals nicht vor Gericht gestellt?
Doch daraus wurde nichts. Als Lena am nächsten Morgen aufwachte, war es schon zehn nach elf. Sie sprang aus dem Bett, griff sich den Camcorder und suchte im Schlafanzug nach Steffi. Sie fand sie telefonierend auf der Terrasse. »Das ist kein Problem. Ja, das schaffe ich.« Während sie sprach, zwinkerte sie Lena zu. »Ja. Prima. In zwanzig Minuten bin ich da.« Steffi beendete das Gespräch und steckte das Handy ein. Mit den Worten »Kühlschrank ist voll und Frühstück steht auf dem Küchentisch« stand sie auf und ging hinein. »Woher kommen eigentlich die Birnen?« Lena, die ihr gefolgt war, erzählte, dass sie ein Geschenk von Babette Leitner waren. Eine nette Geste, fand Steffi, nahm eine der Birnen, und ehe Lena sich versah, war ihre Mutter auch schon wieder weg, um Omas Auto einem Händler vorzuführen, der es eventuell kaufen wollte.
Nach dem Frühstück fuhr Lena mit Omas Rad durchs Dorf und hielt Ausschau nach einer
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