Schattenkuss
mit den Birnen auf den Küchentisch und füllte den Futternapf für Becky, die sich sofort darüber hermachte. Den Camcorder verstaute sie wieder im Rucksack. »Momentan renne ich gegen Wände. Tante Marie weiß, wer dieser Mike ist, aber sie sagt es mir nicht. Anscheinend will sie partout nicht, dass ich es erfahre.«
Daniel setzte sich zu ihr an den Küchentisch. »Und weshalb wird so ein Geheimnis um diesen Mike gemacht?«
Lena zuckte mit den Schultern. »Wie hat sie gesagt? ›Das Echo könnte schmerzlich sein.‹ Keine Ahnung, wie sie das gemeint hat.«
»Na, dass es vielleicht alte Wunden aufreißt, wenn du diesen Mike interviewst.«
»Du meinst bei ihm? Aber er hat doch mit Ulrike Schluss gemacht.«
»Vielleicht hat er das bitter bereut. Vielleicht ist sie seine große Liebe und seit zwanzig Jahren unerreichbar.« Daniel stützte den Kopf in die Hände und schaute Lena ernst an. »Eine Tragödie von geradezu Pilcher’schem Ausmaß.« Er grinste frech.
Lena musste lachen. »Die braucht ein Happy End, und das ist in Sicht.« Sie erzählte Daniel von dem Privatdetektiv, den Steffi engagiert hatte. Unterdessen hatte Becky den Napf leer gefressen und wollte raus. Lena öffnete die Tür zum Garten. Bennos Mutter stand auf der anderen Seite des Zauns und band Stauden hoch. Als sie Lena bemerkte, sah sie zu ihr herüber. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Erneut legte sich dieses unangenehme Gefühl in Lenas Magen. Sie setzte sich zu Daniel an den Tisch und erzählte ihm von Babette Leitners Bemerkung. »Weshalb soll ich mich vor Odakota in Acht nehmen?«
Daniel blickte ratlos drein, zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. »Obwohl … irgendwas war da … hat deine Oma einen PC, mit dem man ins Netz kann?«
»Meine Oma nicht. Aber ich. Mein Laptop braucht allerdings WLAN.«
»Dann lass uns zum Il Cappuccino fahren.«
»Wieso? Was ist mit Odakota?«
»Das ist ewig her. Mindestens zehn Jahre. Damals war ich acht oder neun. Die Erwachsenen haben also schnell zu tuscheln aufgehört, wenn wir Kids in der Nähe waren. Aber ich glaube, es ging um eine Vergewaltigung. War ziemlich lange Thema in der Lokalpresse, wenn ich mich richtig erinnere.«
Sie packten Lenas Laptop in den Rucksack und radelten zum Il Cappuccino. Daniel kümmerte sich um die Zugangsdaten fürs WLAN-Netz, bestellte zwei Tramezzini und zwei Milchkaffee und setzte sich dann zu Lena in die Fensternische. Sie loggte sich ein und startete den Browser. »Wie sollen wir die Suche anfangen? Mit dem Stichwort Odakota werden wir wohl eher nicht an die Infos kommen.«
»Probier es mit Oliver Aigner.«
Lena googelte den Namen, fand etliche Oliver Aigners, aber keinen aus Altenbrunn. Klar, Odakota, der Konsumverweigerer, war garantiert nicht im Netz aktiv. Aber wenn das stimmte, was Daniel gesagt hatte, musste es Informationen über den Vorfall vor zehn Jahren geben. »Wie heißt denn eure Tageszeitung?«
»Wir könnten es mit dem Oberbayerischen Volksblatt versuchen«, meinte Daniel.
Es dauerte eine Weile, aber schließlich wurden sie fündig. Lena stöberte einen Artikel auf, in dem über einen Überfall auf eine junge Frau im Oktober 1999 berichtet wurde. Sie stammte aus dem Nachbardorf und hatte in Altenbrunn das Volksfest besucht. Den letzten Bus nach Hause hatte sie damals knapp verpasst und sich nach Mitternacht zu Fuß und alleine auf den Heimweg gemacht. Der Weg führt über freies Gelände an einem Wäldchen vorbei. Dort wurde sie von einem Unbekannten überfallen und ins Gebüsch gezerrt. Oliver Aigner aus Altenbrunn hatte sie am nächsten Morgen gefunden, angeblich war er auf der Suche nach Steinpilzen gewesen. Massive Schädelverletzungen, Würgemale am Hals. Er hatte die Schwerverletzte in stabile Seitenlage gebracht, Erste Hilfe geleistet und anschließend auf der Straße einen Autofahrer angehalten, der über Handy Polizei und Notarzt verständigte.
»Puh!« Lena stieß die Luft aus und trank einen Schluck Milchkaffe. »Das heißt aber doch, dass Odakota Retter und nicht Täter war.«
Doch Daniel hatte bereits den nächsten Link auf der Trefferliste geöffnet und den Laptop zu sich herangezogen. »So ganz sicher ist das nicht. Hier steht, dass die überfallene Frau den Täter nicht gesehen hat. An Odakotas Kleidung wurden Fasern und Blut des Opfers sichergestellt. Er hat das mit den Erste-Hilfe-Maßnahmen erklärt. Und auf dem Stein, mit dem auf die Frau eingeschlagen
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