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Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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dann blieb auch noch die Schale ständig am Messer kleben. Ätzend. Weshalb blieben solche Jobs immer an ihr hängen?
    Steffi hatte es gut. Sie kam erst am Nachmittag wie ein Gast und würde sich dann an den gedeckten Tisch setzen. War überhaupt ein Wunder, dass sie sich mal wieder blicken ließ. Ihr letzter Besuch war sechs Wochen her, dabei studierte sie weder in Helsinki noch in Timbuktu, sondern in München, mit dem Zug nicht mal eine Stunde entfernt. Angeblich musste sie so viel lernen. Doch vermutlich hielt sie sich jetzt ganz einfach für etwas Besseres. Studentin der Literaturwissenschaften in der Weltstadt mit Herz. Was wollte sie da schon in einem Kaff wie Altenbrunn? Mit wem sollte sie hier über Camus und Kafka diskutieren, über Paul Celan oder Ingeborg Bachmann? »Intellektuell und kulturell betrachtet ist Altenbrunn Ödland«, hatte Steffi gesagt, als sie das letzte Mal zu Hause gewesen war. »Ach was: Ödland. Da gäbe es wenigstens die Chance, dass irgendwann mal ein Pflänzchen wächst. Wüste trifft es wohl besser.«
    Ulrike ließ eine geschälte Kartoffel in die Schüssel fallen. Steffi war ganz schön arrogant geworden. Eine überhebliche Kuh! Garantiert tauchte sie heute wieder im schwarzen Intellektuellenoutfit auf und ließ vor der ganzen Verwandtschaft raushängen, dass sie studierte. Da war Kontrastprogramm angesagt. Ulrike würde die Doc Martens anziehen, dazu einen Schottenminirock, ihr pinkfarbenes Lieblingsshirt und darüber eine schwarze Weste.
    Sie hatte absolut keine Lust, Kartoffeln zu schälen. Unter dem Vorwand, Kopfschmerzen zu haben, ging sie nach oben in ihr Zimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Es war schon Mittag. Um drei kamen die Gäste, über dreißig Personen, und auch ­Mike würde kommen.
    Zwei Wochen und ein Tag war es nun her. Rosenblätter, Kerzenschein, Champagner und ­Mike, der sie zur Frau gemacht hatte. Sie sehnte sich so nach ihm und wusste gar nicht mehr, wie sie die letzten zwei Wochen überlebt hatte. Ein Atemzug nach dem anderen und ewig von ihm träumend. Natürlich hatte sie die Matheschulaufgabe verhaut. Aber das war egal.
    Sie hatte ihm geschrieben. Karten und Briefe. Ihn im Studentenheim ans Telefon zu bekommen, war fast unmöglich. Entweder ging keiner von denen ran oder ­Mike war nicht da gewesen. Nur dreimal hatten sie sich in der letzten Zeit sprechen können. Ein Mobiltelefon müsste man haben. So eins, wie sie es neulich in einer amerikanischen Fernsehserie gesehen hatte. Es war so klein wie eine Packung Butterkekse, hatte eine Antenne und man konnte damit theoretisch überall telefonieren. Leider kosteten die Dinger ein Vermögen und benötigten ein Funknetz, das es in Altenbrunn nicht gab. Ulrike seufzte. Immerhin hatte ­Mike auf ihre Post geantwortet. Sie stand auf, zog ihr Tagebuch unter dem Kopfkissen hervor und nahm den Brief heraus, den sie dort aufbewahrte, seit er vor drei Tagen gekommen war. Ein wenig roch er nach ­Mike. Sie sog den Duft ein und schloss die Augen. Den Text konnte sie längst auswendig.
    Liebe Ulrike, wir sehen uns am Wochenende. Ich muss unbedingt mit dir sprechen, allein, ganz ungestört. Überleg dir, wann und wo. Ja? ­Mike.
    Allein. Ganz ungestört . Natürlich hatte sie längst Pläne geschmiedet. Decken, Kerzen, Gläser und eine Flasche Rotwein warteten gut versteckt im Wintergarten der alten verfallenen Villa. Der Gedanke an ­Mike, an eine weitere romantische Nacht mit ihm, ließ sie leicht und fröhlich werden.
    Den Brief legte sie zurück ins Tagebuch und ging ins Bad, das sie anderthalb Stunden später wieder verließ. Sie hatte geduscht, die Haare gewaschen und geföhnt, sich geschminkt und mit einer teuren Bodylotion eingecremt. Nun das Outfit. Vielleicht doch nicht der Grunge-Look? Sollte sie zur Feier des Tages lieber etwas Seriöseres anziehen? Würde ­Mike das besser gefallen? Sie wählte eine Jeans und eine weiße Bluse und stellte sich vor den Spiegel. Ganz schön spießig. Das Mädchen, das ihr da entgegenguckte, wollte sie nicht sein. Vom Garten drangen Stimmen herauf. Die ersten Gäste waren da. Ulrike schlüpfte aus den Klamotten und zog nun doch den Schottenmini, Turnschuhe und das pinke T-Shirt an.
    Natürlich wurde sie von den Verwandten missbilligend gemustert. Lediglich Tante Marie hob den Daumen. Wo blieb ­Mike? Das Kuchenbuffet war aufgebaut, die Gäste setzten sich. Man aß Berge von Gebäck, trank Unmengen an Kaffee und redete und redete und redete. Wer an welcher Krankheit litt,

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