Schattenkuss

fiel Lena Odakota ein, der sich selbst unterbrochen hatte, als er von der Wette erzählte. ­Mike war mit Ulrike wegen einer Wette ins Bett gegangen. Was in diesem Fall ja wohl kein Problem gewesen sein dürfte, wie Daniel sehr richtig bemerkt hatte.
    Natürlich. Die Hürde hatte höher gelegen.

Samstag, 16. Juni 1990
    Es war kurz vor Mitternacht. Die Luft im Casablanca war abgestanden und rauchgeschwängert. Aus der Musicbox dröhnte Another day in paradise . An den Flipperautomaten drängten sich die Jungs. Das Dartboard wurde von ein paar Vierzehnjährigen belagert, die eigentlich längst daheim im Bett liegen sollten. An den Tischen saßen Pärchen und Cliquen. Es wurde geraucht, gelacht und reichlich Bier getrunken.
    Ulrike saß neben Oli an einem Tisch in der Ecke vor ihrer zweiten Cola-Rum. Der erste Schock hatte nachgelassen. Ihre Hände zitterten nicht mehr, doch in ihr brannte ein bisher nicht gekannter Schmerz. Glühend, sengend, als würde er sich durch sie hindurchfressen und jeden Augenblick züngelnd durch die Haut dringen. Außerdem war ihr noch immer schlecht. ­Mike! Steffi!
    Olis Hand legte sich vorsichtig auf ihre. Sie blickte auf, sah in warme braune Augen. Oli war einfach ein netter Kerl, ein guter Kumpel, einer, der zuhören konnte und nichts von dem weitertratschte, was man ihm anvertraute. Fragend sah er sie an und auch ein wenig besorgt. »Kummer wegen ­Mike?«
    Sie nickte.
    »Er hat Schluss gemacht, oder?«
    So, wie er das sagte, war es keine Frage. Als wäre das zu erwarten gewesen. Ulrike zuckte die Schultern. War ja auch eine Antwort. Wenn er es ohnehin zu wissen schien.
    »Wie geht es dir?«
    Wie wohl? Siehst du doch, dachte sie und trank den letzten Schluck aus dem Glas.
    »Vergiss ihn. Er ist einfach ein Arsch.« Oli senkte den Blick.
    Sie stellte das Glas ab. »Ich dachte, ihr seid Freunde.«
    »Kann ich dir irgendwie helfen?« Olis Hand lag noch immer auf ihrer.
    »Damit muss ich alleine klarkommen.«
    »Und was willst du nun tun?«
    Sie zog die Hand weg. »Ich haue ab. Nach München und von dort weiter nach Berlin.«
    »Spinnst du! Zwei Jahre vor dem Abi. Das kannst du doch nicht sausen lassen.« Er klang wie ein besorgter Lehrer.
    »Hat sich erledigt. Ich bleib eh wieder sitzen.«
    »Ach du Scheiße! Wissen deine Eltern …?«
    »Klar. Heute ist mein Glückstag. Zuerst spannt Steffi mir ­Mike aus und dann findet Papa auch noch den Brief von der Schule.«
    »Steffi? ­Mike hat dich wegen deiner Schwester sitzen lassen?« Ein angespannter Zug legte sich um Olis Mundwinkel.
    »Sie hat sich an ihn rangeschmissen. Keine Ahnung, was er an der doofen Kuh findet. Sie sieht aus wie ein Haufen Asche und hat so viel Humor wie mein Mathelehrer.« Plötzlich liefen die Tränen. Oli reichte ihr ein Tempo, stand auf und kam kurz darauf mit zwei Cola-Rum zurück. Sie trank einen Schluck. Dann begann sie, Oli ihr Herz auszuschütten. Es tat gut zu reden und sie wusste, er würde es für sich behalten.
    Er hörte zu, ohne sie zu unterbrechen, was ihren Redefluss förderte. Vielleicht war auch die dritte Cola-Rum daran schuld, jedenfalls vertraute sie Oli irgendwann an, dass Mike der erste Junge war, mit dem sie geschlafen hatte, und auch, wie es dazu gekommen war. Erst ziemlich spät bemerkte sie, dass seine Augen dunkler geworden waren, als würde darin ein Unwetter heraufziehen. Sein Gesichtsausdruck wirkte verschlossen, ärgerlich, als versuche er, eine ziemliche Wut zu unterdrücken. »He Oli! Was ist?«, fragte sie beunruhigt.
    »Er ist ein Arsch. Ein solcher Arsch«, stieß er hervor.
    »Wer? ­Mike?« Ulrike wunderte sich. Sie hatte wirklich gedacht, Oli und ­Mike wären Freunde. Jedenfalls hing Oli im Moonlight oft mit ­Mikes Clique rum.
    »Von den Wetten hast du vermutlich gehört.«
    »Was für Wetten?«
    Oli legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Als er ihn nach einer Weile wieder senkte, lag etwas Entschlossenes in seinem Blick. »Es ist höchste Zeit, dass du ­Mike so siehst, wie er wirklich ist. Dann bist du von ihm ein für alle Mal geheilt.«
    Was meinte Oli?
    »Angel, ­Mike und Felix wetten gelegentlich, welche Mädchen sie ins Bett bekommen. ­Mike ist da natürlich im Vorteil, also haben sie bei ihm die Spielregeln verschärft. Es soll ja schließlich schwierig sein. Einmal haben sie da­rum gewettet, ob ­Mike zwei Mädchen gleichzeitig …« Oli wurde tatsächlich rot. »Na, du weißt schon.«
    »Ob er zwei gleichzeitig ins Bett kriegt?«, fragte Ulrike