Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
zuvor bauten die ersten 1 000 Sträflinge Hafenanlagen und Verkehrsverbindungen rings um den „Ort ohne Adresse“, wie das Gefängnis in einer Fernsehserie genannt wurde.
Kaum ein Gebäude auf Hokkaido ist älter als die ehemalige Strafanstalt für politische Gefangene. Alte Tempel oder Schreinanlagen sucht man hier vergeblich wie auch authentische Zeugnisse der Ureinwohner. Die Ainu zählen gerade noch einige Zehntausend, die eigene Sprache ist praktisch ausgestorben. Seit dem 15. Jahrhundert wehrten sich die Bewohner des Nordens gegen den Landraub des Südens, doch vergeblich. Im 19. Jahrhundert beschloss die Regierung die Assimilation der Ainu in das japanische Volk. Sprache und Gebräuche wurden radikal verboten. Nicht nur wegen ihrer stärkeren Körperbehaarung, der hellen Hautfarbe und der runden Augen fielen die Ainu oder Utari 1 , wie sich die Ureinwohner selbst nennen, immer und überall auf. Versuche, sie zu Bauern zu machen, schlugen fehl, und Viele versanken in Armut und Alkoholismus. In den Siebzigerjahren erkannte man ihren folkloristischen Wert, wohl als eine Art japanische Flower-Power-Bewegung, doch da waren schon viele Ainu in andere Gegenden Japans umgezogen, um sich und ihren Kindern eine bessere Zukunft zu sichern. In wenigen Jahren werden neben den wenigen Museen und kitschigen Folkloredörfern nur noch die fremd klingenden Ortsnamen an die Wurzeln der nördlichen Kulturen Japans erinnern.
So desolat ist die Lage im Süden glücklicherweise noch nicht. Die Ryukyu-Inseln der modernen Präfektur Okinawa erstrecken sich über 1 200 Kilometer zwischen Kyushu und Taiwan. Obwohl Nachbar Kyushu seit der Steinzeit eine Art Brückenkopf zum Festland bildete, hegten seine Bewohner niemals Zweifel an ihrer Zugehörigkeit zu Japan. Anders die subtropischen Inseln, die einst das Königreich Ryukyu bildeten. Sie standen der chinesischen Kultur immer schon näher als der japanischen. Bis zum 17. Jahrhundert bewahrte es sich mit der Unterstützung der Ming-Kaiser seine Unabhängigkeit. Dann fiel das kleine Königreich unter die Kontrolle des Fürsten von Satsuma, heute Präfektur Kagoshima. Damals entstand unter den Kriegern der Inseln der Kampfsport Karate. Aus Angst vor Rebellionen mussten sämtliche Waffen abgegeben werden, und so lernten die Männer heimlich den Kampf mit der „leeren Hand“, was Karate übersetzt bedeutet. Erst unter Kaiser Meiji verloren die Könige von Ryukyu endgültig ihre Macht und das Land wurde von Japan annektiert. Drei lange Tage baten Boten von Ryukyu in Beijing um militärische Unterstützung, doch China verweigerte seinem einstigen Vasallen sämtliche Hilfe. Die Vereinigten Staaten stellten sich auf die Seite Japans, die Forderungen der Inselbewohner auf Unabhängigkeit verhallten ungehört. Dann setzte in Ryukyu derselbe Umerziehungsprozess wie in Hokkaido ein: Traditionen und Gebräuche wurden verboten und durch japanische ersetzt, fortan hieß die Landessprache Japanisch. Die gleichnamige Landessprache Ryukyu wurde zum Dialekt degradiert. Nach 1945 verblieben die Inseln 27 Jahre unter amerikanischer Verwaltung, erst 1972 wurde Ryukyu als Präfektur Okinawa wieder ein Teil Japans. Wieder hatte die Unabhängigkeitsbewegung keine Chance. Heute hofft eine verschwindend kleine Minderheit auf eine Loslösung von Japan. Das Gros der Bevölkerung hat eingesehen, dass das Armenhaus der Nation allein nicht mehr überleben kann, und sich mit dem Status Quo abgefunden. Hier sind die Menschen statistisch gesehen zwar besonders arm, doch leben sie länger und sind obendrein Befragungen zufolge noch wesentlich glücklicher als der nationale Durchschnitt.
Es muss wohl auch die Abgeschiedenheit der vielen subtropischen Inseln gewesen sein, durch die sich die Eigenheiten der Ryukyu-Kultur wesentlich besser erhalten konnten als die der Ainu im Norden. Heute sprechen die Leute unter 60 ein vom Dialekt der Inseln eingefärbtes Japanisch. Nur die Alten sprechen weiterhin „echtes“ Ryukyu. Eine Radiostation sendet ausschließlich in Ryukyu, Musik von Okinawa mit den typischen Klängen der dreisaitigen Sanshin ist in ganz Japan immens populär. Das lockere Tropenfeeling stimmt halt auch die Japaner auf Sommerurlaub ein.
Die Architektur Okinawas ist wie so viele kulturelle Elemente stark chinesisch geprägt. Die Dächer sind mit schweren Ziegeln bedeckt, um die Gebäude in der Taifun-Zeit zu schützen. Auf Toreingängen und Dachecken wachen Shisa, löwenartige Wesen. Von denen gibt es
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