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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Liew
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Schatten der beiden „Großen“ stehen. Wie die Region Kinki, die genau dazwischen liegt. Um nicht völlig übergangen zu werden, haben sich die Leute aus Nagoya darauf verlegt, alles ein bisschen dicker und greller aufzutragen. In der Geburtsstadt der dröhnenden Pachinko-Hallen schmeißt man nicht nur die aufwendigsten Hochzeitsfeiern, sondern fährt auch auf den breitesten Straßen und verreist vom größten Bahnhof mit dem höchsten Turm.
    „Auf dem Dach unserer Burg befinden sich die größten goldenen Fabelwesen ganz Japans“, berichtet Herr Narita, Kurator der Burg von Nagoya stolz, als wir auf den Fahrstuhl im Innern des Wehrturms warten. Diese sogenannten Kinshachi sollten die Burg vor Feuer schützen, versagten aber eindeutig, denn die Burg brannte im Zweiten Weltkrieg komplett ab. „Die ersten Kinshachi brachten es noch auf über 320 Kilogramm Gold. Heute müssen 80 Kilo reichen.“ Er seufzt. „Die Leute haben das Gold geklaut wie die Raben. Auch die Shogune der Tokugawa waren nicht besser, sie kratzten immer wieder eine Schicht ab, wenn Geldmangel herrschte.“
    Dreimal wurde die Goldschicht erneuert, heute sind die beiden delfinähnlichen Wesen nur noch mit Gold lackiert. Und passen damit meisterhaft zur Burg, die nach außen das Bild einer perfekten mittelalterlichen Burg bietet, ihr Interieur aber eher einer deutschen Finanzbehörde gleicht. Ein klasse Kontrast, eben typisch Nagoya? Ein wenig neidisch blickt der Rest Japans schon auf so viel lokales Selbstbewusstsein und versteckt sich schüchtern hinter den berühmten „Drei“ Kansai, Kinki und Kanto.
    Tohoku, der Nordosten, galt lange als rückständiges Hinterland, versprach viel Natur und noch mehr Langeweile. Wer wollte da schon hin außer ein paar emsigen Wanderern, wie es einst Basho 3 war? Doch auch hier herrscht mittlerweile Bewegung. Heute sammelt der Norden bei den Großstädtern gerade mit seiner vermeintlichen Langsamkeit wieder Pluspunkte; junge Familien ziehen gerne raus aufs Land in „Kleinstädte“ von knapp 200 000 Einwohnern. Auch Kyushu im Süden erfreut sich eines nationalen Booms. Kulturell bietet die Region extrem viel, doch vom Kyushu-Otoko, von den Männern Kyushus, sollte man tunlichst die Finger lassen. Sie seien alle noch vom alten Schlag, durch und durch autoritär und frauenfeindlich. Behauptet zumindest der Norden. So pflegt jeder genüsslich regionale Vorurteile und nennt seine Heimat erst einmal Kyoto, Nara oder Akita und dann erst Japan. Eigentlich genau wie bei uns. Und doch wieder nicht. Denn was macht sie alle zusammen besonders glücklich, Japaner zu sein? Nein, nicht Freiheit und Demokratie, sondern ihr leckeres Essen. Wer Sushi und Seetang liebt, der muss also ein waschechter Japaner sein. Da habe ich ja doch noch Chancen auf eine wenigstens emotionale Einbürgerung!
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    1 Utari bedeutet in der Ainu-Sprache Kamerad. Da die Bezeichnung Ainu einen diskriminierenden Beigeschmack hat, werden beide Begriffe in offiziellen Dokumenten verwendet.
    2 Bushi bedeutet Krieger, Bushido ist der „Weg des Kriegers“.
    3 Matsuo Basho (1644-1694), Haiku-Dichter, berühmt für seine Wanderungen durch die nördlichen Provinzen.

Schattenläufer
    Ueno-Park an einem Sonntag im Frühling. Menschenströme ergießen sich aus der nahen U-Bahnstation, ich bin umgeben von fröhlich hüpfenden Kindern auf dem Weg in den Zoo. Pärchen genießen Händchen haltend die ersten wohligen Sonnenstrahlen, in der lauen Luft mischen sich die Gerüche von Zuckerwatte und verbrannter Sojasoße. Fetzen von Lautsprecherdurchsagen und die Musik des Kinderkarussells wehen über den großen Platz. Tauben umflattern die Bronzestatue eines Revoluzzers, ein roter Luftballon hat sie aufgeschreckt.
    Am Ende des Parks, kurz vor dem Nationalmuseum, ebbt der Feiertagsrummel langsam ab. Etwas abseits, im Schatten der großen Bäume, steht eine Gruppe von älteren Männern. Ordentlich gekämmt mit, wie in Japan gewohnt, korrekter, wenn auch etwas altmodischer Kleidung stehen sie zusammen. Nichts Besonderes also, denke ich und will weiter. Wären da nicht die abgenutzten, prall gefüllten Plastiktüten und die billigen Plastikslipper, die manche von ihnen tragen. Solche Schuhe benutzen Japaner einzig auf der Toilette und genieren sich gewöhnlich entsetzlich, damit außerhalb des Aborts erwischt zu werden. Wer sind diese Leute also? Ich fange an zu trödeln und sehe zu, wie ein kleiner Laster vorfährt und Kisten ablädt. Eine wird umgedreht und

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