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Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan

Titel: Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Liew
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sich allein in Japan über zwei Millionen Mal. Bis in die Achtzigerjahre vermutete der Westen in dem Konzept von Scham und Gruppenzwang das Erfolgsgeheimnis von Japan Inc., dabei übersah man geflissentlich, dass auch andere Kulturen wie zum Beispiel die Roma auf das Konzept von Scham bauen, bekanntlich ohne großen wirtschaftlichen Erfolg. Als die überhitzte Wirtschaftsblase schließlich platzte, schlug die Stimmung im Westen um und nun verlegte man sich aufs Japan Bashing. Japaner ficht das wenig an, im Gegenteil: Hier rückt man einfach noch ein Stück weiter zusammen und fühlt sich in der Theorie bestätigt, dass „wir gegen den Rest der Welt“ einen besonderen Platz in der Völkergemeinschaft einnehmen.
    Das ostasiatische Inselvolk hat gewöhnlich nichts dagegen, nach außen wie ein Block zu wirken. Die Menschen stört es nicht, schon von Weitem als japanische Touristen erkannt zu werden, weil sie alle die gleiche Mütze tragen und hinter einem Fähnchen herdackeln, wenn sie durch die Altstadt von Rothenburg laufen. Was sie allerdings mächtig irritiert, ist ihre Verwechslung mit Koreanern oder Chinesen. Da sind sie eigen, sie betrachten sich ja nicht als Asiaten, sondern einzig als Japaner. „Mit denen vom Festland haben wir nichts zu tun“, so ein ehemaliger Kommilitone von mir. Er erzählte mir lang und breit von seinen Ferienplänen, endlich einmal Asien kennenlernen zu wollen. „Aber du lebst doch in Asien, Hiroshi“, entgegnete ich. Nö, er sei Japaner, Asiaten gäbe es nur auf dem Festland. Die japanischen Inseln, könnte man glauben, wären erst vor Kurzem zufällig vor der Küste Koreas, Chinas und Russlands angeschwemmt worden.
    Asien, das gilt Japanern als völlig unbekanntes Territorium. Diese Terra Incognita ist der Hochzeitsreise oder dem anstrengenden Rentnertrip vorbehalten. Geht es um einen erfrischenden Kurzurlaub, bleibt man doch lieber in heimischen Gefilden. Da gibt es landesweit genügend Vielfalt, um stets Neues zu entdecken. Entgegen all dem Rummel um die Homogenität der Japaner bietet das Land eine unerhörte Vielzahl an Landschaften, Kulinarischem, Kultur und Menschenschlägen. Das wissen die Japaner ganz genau, halten diese Information aber seltsamerweise wie ein Staatsgeheimnis von Ausländern fern. Die fremden Besucher lässt man gerne im Glauben, dass ganz Japan wie Tokyo oder gar Kyoto sei und es außerhalb der beiden Regionen eh nichts Neues zu entdecken gebe. Das wurmt die Obersten der japanischen Tourismusbehörden gewaltig, aber noch schaffen sie es kaum, dass die einzelnen Regionen mutig ihre Besonderheiten vorzeigen, anstatt immer nur den bekannten Vorbildern nachzueifern und so ein Bild langweiliger Konformität hervorrufen. Dabei ist das Land wie eine klassische japanische Lunchbox mit mehreren Etagen, deren Anblick allein Appetit auf den Inhalt macht und jede Lage ungeahnte Leckereien bereithält.
    Die Extreme bilden der nördlichste und der südlichste Zipfel der lang gestreckten Inselkette. Hokkaido im Norden galt lange Zeit als Japans Wilder Westen. Schon seit dem frühen Mittelalter trieben die nördlichen Provinzen Handel mit Hokkaidos Ureinwohnern, den Ainu. Provinzfürsten bemühten sich immer wieder um die Kontrolle der Stämme, doch erst unter Kaiser Meiji fiel Hokkaido offiziell an Japan. Damit reagierte man auf einen möglichen Einfall Russlands, das seinen Machtbereich Richtung Japan ausweiten wollte. Um Landwirtschaft und Bergbau voranzutreiben, holte man sich amerikanische Unterstützung ins Land und die Bevölkerung verfünffachte sich innerhalb eines Jahrzehnts. Verarmte Bauern aus ganz Japan, die nun nicht gleich bis ins damals lockende Südamerika auswandern wollten, sahen in Hokkaido ihre Chance, und heute gilt der lokale Menschenschlag als besonders zupackend, offen und tolerant. Hokkaido bietet angeblich die besten Ehemänner, denn als Pioniere kann man nicht zimperlich auf traditionelle Rollenteilung beharren. Nicht alle Bewohner des äußersten Nordens kamen jedoch freiwillig nach Hokkaido. Mit der Meiji-Reform ging auch eine Milderung des Justizsystems einher. Die Regierung beschloss, es mit modernem Strafvollzug zu versuchen, neben der Todesstrafe gab es nun Arbeitslager zur Umerziehung der Delinquenten. Und wo könnten die besser stehen als in Sichtweite von Packeis? Bis 1984 blieben die alten Gemäuer des Hochsicherheitsgefängnisses von Abashiri in Japans ganz eigenem Sibirien im Nordosten Hokkaidos in Betrieb. Knapp einhundert Jahre

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