Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
gibt zum Beispiel auch einen Fluss Fuji, den Fuji-kawa.
Bunte Vielfalt unter homogener Schale
„Japaner sind doch alle gleich!“ Unbedacht rutscht mir dieser Satz beim Stehempfang unter goldenen Kronlüstern heraus. Die obligatorischen Reden sind gehalten, das Buffet schon ordentlich geplündert und ich stehe mit einem letzten Glas Wein in einer kleinen Gruppe und es geht mal wieder um das Lieblingsthema vieler Japaner: Kulturvergleich zwischen Ost und West. Jetzt bin ich vielleicht doch zu weit gegangen, sorge ich mich. Wird der gesellige Abend ein frühzeitiges Ende finden, weil ich in ein Fettnäpfchen getreten bin? Im Gegenteil. „Sie verstehen uns, Christine-san“, höre ich ganz überrascht von allen Seiten. „Wir Japaner sind tatsächlich alle gleich und ganz anders als Sie!“ Rings um mich einvernehmliches Nicken und zustimmendes Gemurmel. Die Herrschaften gewinnen an Fahrt und schon befinden wir uns in einer lebhaften Diskussion über die Besonderheiten der Japaner. „Wir als Inselvolk haben genetisch keinerlei Verbindung zu anderen Rassen. Wir sind praktisch ein eigenständiger Zweig der Menschheit!“, wirft ein älterer Herr neben mir ein und beginnt mir zu erklären, wie sich die Stämme auf dem Festland immer wieder vermischt hätten, die Japaner aber dank ihrer isolierten Lage homogen geblieben wären. „Schauen Sie allein die Sprache an, Christine-san“, belehrt er mich, „Sie sprechen für einen Gaijin rechtlich ordentlich Japanisch, aber die feinen Nuancen bleiben Ihnen auf ewig verborgen, weil sie niemals wie ein Japaner denken werden.“ „Vergiss nicht die vier Jahreszeiten“, wirft seine Frau ein, „nur hier in Japan sind Frühling, Sommer, Herbst und Winter so stark ausgeprägt.“ Ich wage zu sagen, dass dies in Europa ebenfalls der Fall sei. Doch als Antwort erhalte ich nur ein gütiges Lächeln. Nein, sagen die Gesichter um mich, an uns Japaner reicht kein anderes Volk, wir sind schlichtweg einzigartig.
Dieses Bollwerk an Selbstbewusstsein, Kritiker nennen es Ethnozentrismus, lässt sich heute Abend zwischen zwei Gläsern Wein wohl kaum mehr knacken. In Japan hat diese Form des Nationalbewusstseins sogar einen wissenschaftlichen Namen: Nihonjinron, Theorien über Japaner, und wird seit gut 150 Jahren intensiv betrieben. Die Identitätssuche begann während der Isolationsphase der Edo-Zeit als sogenannte Kokugaku, Landesstudien, als man sich erstmals im Kontrast zum Westen sah, und erreichte seinen ersten Höhepunkt in der Meiji-Zeit. Damals wollte sich das Land trotz der starken ausländischen Einflüsse seine Eigenheiten bewahren. Während der Dreißiger- und Vierzigerjahre schlug das übersteigerte Selbstbewusstsein in aggressive Expansionspolitik um. Es galt, ganz Asien unter der Führung Japans zu vereinen. Als Volk mit göttlichen Urahnen sah das Kaiserreich darin seine natürliche Aufgabe. In der Nachkriegszeit verging die Zeit bis zum Wirtschaftsaufschwung erst einmal mit stillem Wundenlecken. Mit steigendem Wohlstand kehrte das verschüttete Selbstbewusstsein wieder zurück und heute schwappt trotz Wirtschaftskrise und Politikverdrossenheit die stolze Selbstanalyse in immer neuen Wellen über das Land. Tausende von Aufsätzen und Büchern beschäftigen sich in regelmäßigen Abständen mit den besonderen Hirnstrukturen oder Verdauungstrakten der Japaner, Flipcharts erklären im Frühstücksfernsehen, warum Japaner mit der Blutgruppe A fleißige und erfolgreiche Menschen sind (sie stellen einen Großteil der Bevölkerung) und die der Blutgruppe B zum Verbrechertum tendieren.
Das Abendland ist gar nicht mal so unschuldig an dem Gerede um die Einzigartigkeit der Japaner. Die Darstellungen und Interpretationen nicht-japanischer Wissenschaftler liest nicht nur das Ausland, sondern sie beeinflussen auch recht stark das Selbstbildnis der Japaner. So brachte Eugen Herrigels Buch „Zen und die Kunst des Bogenschießens“ vor dem Weltkrieg durch Missverständnisse und Dolmetscherfehler eine esoterisch-mystische Interpretation des Zen-Buddhismus nach Europa, der so in Japan gar nicht existierte, später aber gerne von japanischer Seite verbreitet wurde. In den Nachkriegsjahren sorgte Ruth Benedict mit ihrem Werk „Chrysantheme und Schwert“ für das Bild eines Japans der Schamkultur. Der Einzelne handele demnach nicht nach Gut und Böse, sondern einzig entsprechend seiner sozialen Stellung. So entstand der Mythos vom allgegenwärtigen Gruppendruck, und das Buch verkaufte
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