Schattenlaeufer und Perlenmaedchen - Abenteuer Alltag in Japan
Ein-Raum-Wohnung mieten – wenn man denn Bürgen und festen Arbeitsplatz vorweisen könnte.
„Das ist doch alles eine Frage der Einstellung“, sagt mir der Manager beim Abschied. „Die Leute landen hier nicht aus Verzweiflung, das ist ein ganz neuer Lifestyle!“
Wer sich unter den Stadtstreichern diesen „neuen Lifestyle“ nicht leisten kann, für den gibt es immer noch das Fast-Food-Restaurant in Gelb und Rot. Für eine Tasse Kaffee lässt man hier die Gestrandeten die ganze Nacht sitzen. Es sei denn, es werden allzu viele wie in den Zweigstellen der Zentralbahnhöfe. Seit einiger Zeit schließen die vormals 24 Stunden geöffneten Fast-Food-Restaurants von 2 bis 4 Uhr nachts. „Um gründlich auszufegen“, erfahre ich auf Anfrage. Nicht wenige Heimatlose kehren um Punkt 4 Uhr wieder zurück, müssen dann allerdings in eine zweite Tasse Kaffee investieren. Die sogenannten Mc-Flüchtlinge (japanisch: Mac Nanmin ) machen mittlerweile ein Drittel der Nach-Mitternacht-Kundschaft aus. Die Angestellten drücken ein Auge zu. Nur bei allzu jungen Ausreißerinnen greifen sie ein und rufen schon mal unauffällig die Polizei. In den Ballungszentren Tokyo, Osaka und Nagoya hat man mittlerweile die Dringlichkeit erkannt, die jungen Erwachsenen von der Straße zu holen, und eigens für diese Altersgruppe Beratungsstellen eingerichtet. Praktische Soforthilfe leisten allerdings nur private Hilfsorganisationen. Allen voran die ausländischen Missionsstationen, die die Ärmsten Japans regelmäßig mit Essen versorgen. Die amerikanische Botschaft importiert jedes Jahr Reis aus den Staaten zu dem alleinigen Zweck, die Kirchen in Shinjuku, Tokyos schickem Regierungsviertel, mit kostenlosen Reisbällchen zu versorgen. Botschaften dürfen Reis importieren, japanische Organisationen nicht, denn schließlich gilt es, die japanischen Bauern vor Billigreis aus dem Ausland zu schützen. Wenn die Missionen abends ihre Küchen öffnen, verwandelt Tokyo sich in die Kulisse eines dieser düsteren Weltuntergangsfilme. Hoch oben unter den Dächern der architektonischen Meisterwerke Shinjukus entspannen die Menschen nach einem langen Arbeitstag in einer kostspieligen Bar. Im Schatten der Häuserblocks windet sich stumm eine endlose Schlange Hungriger um die Häuserblocks und bangt, ob das warme Essen wohl diesmal ausreichen wird. Auch das ist Alltag in Japan.
Menschenskinder!
„Nein, ich gehe nicht mehr in die blöde Schule!“, schreit meine Tochter und hält sich standhaft am Türrahmen fest. So geht das nun schon seit einigen Tagen. Was ist mit meinem wissbegierigen Kind nur los? Seit drei Wochen ist die Kleine ein pikapika Ichinensei, ein glänzend neuer Erstklässler, wie man hier sagt. Mit Begeisterung hat sie im Kindergarten das Einschulungslied gelernt, mit dem man ihr „über hundert neue Freunde“ versprochen hat. Und nun das: Kopfschmerz, Übelkeit und der beinahe tägliche Anruf der Schule, dass ich das Kind bitte abholen möge. Ich schaue mein weinendes Kind an, atme einmal tief durch. Dann greife ich zum Telefon, melde sie für den Tag krank und mache einen Termin mit der Klassenlehrerin aus.
Inamoto-sensei 1 ist eine ältere Lehrerin und hat nicht zum ersten Mal über 30 Erstklässler zu betreuen. Sie meint, mein Kind hätte keine großen Probleme und würde doch immer alles mitmachen. „Nur wenn ich die Aufgaben austeile, sitzt sie teilnahmslos da. Sie kann halt noch nicht lesen und muss die Fragen von mir extra erklärt bekommen.“ Ich glaube, mich verhört zu haben. Natürlich kann das Kind noch nicht lesen, es geht ja erst seit ein paar Tagen zur Schule! „Bei unserer Schule ist es üblich, dass die Kinder die Silbenschriften und Grundrechenarten bereits vor Schulbeginn beherrschen. So können wir dann gleich von Tag eins an loslegen“, erklärt mir Inamoto-sensei. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Unsere Grundschule ist keine elitäre Privatschule mit Uniform, sondern eine ganz gewöhnliche Bezirksgrundschule. Hierhin gehen alle Kinder unseres Wohngebietes und wir bezahlen nur das Mittagessen aus der Großküche.
„Ich mache mir da keine Sorgen um Ihre Tochter. Sie spricht fließend Japanisch, da wird sie bald aufgeholt haben“, meint die Lehrerin freundlich zum Abschied. Wieder daheim frage ich sofort nach. Und richtig, das Kind fühlt sich ausgeschlossen und dumm. Arme Kleine, denke ich, nun fühle ich mich auch irgendwie ausgeschlossen und dumm. Als alle anderen Kinder im Kindergarten die teure
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